Sonntag, 11. September 2011

Vollmond

Und aus den Wiesen steiget....                  Ölkreide und Gouache auf  Bütte


Mag ja sein, dass die Wissenschaft aktuell den Einfluss der Vollmond-Phase auf sensible Menschen weitestgehend entmystifiziert hat. Aber hören Gläubige auf zu glauben, wenn sie auf all die Widersprüchlichkeiten in religiösen Texten und Überlieferungen hingewiesen werden?
Ein Agnostiker wie ich hat es auch in solchen Fragen mit seiner Standartantwort leicht: Ich weiß einfach nicht, wieso der Mond Einfluss auf mich hat.
Mondscheinbad mit Tiger                   Öl auf Bütte (progetto)
In der westlichen Krümmung des bereits herbstlichen Himmels über dem Borgo war der Vollmond in dieser Nacht riesig; etwa doppelt so groß wie normal. Er erschien auch heller und hielt mich deshalb vom Schlafen ab. Quatsch! Bei 0,2 Lux maximal gäbe es keine biologischen Auswirkungen, stellte die Wissenschaft fest...
Während ich mich sonst schlicht weigere, Gäste zu Abendflügen nach Nizza zu fahren, leiste ich bei Vollmond im November nie Widerstand - obwohl mir der Grund immer erst bewusst wird, wenn ich über die Autostrada dei Fiori heimfahre. Dann nämlich steigt noch frühabends eine Riesenscheibe aus dem Ligurischen Meer. Sie ist dann nicht blaßsilbrig, sondern rotgold und versetzt mich mit der Schönheit des Gesamtbildes in eine oft tagelang anhaltende Euphorie.
Das italienische Wort für launenhaft heißt "lunatico" und verweist auf den Wortstamm luna, worauf vermutlich auch unser Wort Laune irgendwie zurückzuführen ist. Leider bin ich ein ausgesprochen launischer Mensch, der unter seinen Gemütsschwankungen selbst am meisten zu leiden hat. Aber wenn ich auf die über sechs Jahrzehnte meines Lebens zurückblicke, sind mir viele Vollmondnächte mit ihren Erlebnissen unauslöschlicher in Erinnerung als all die grandiosen Sonnentage, deren Eindrucksfülle mich oft genug zu erdrücken drohte. Und darin liegt möglicherweise ein Erklärungsschlüssel: Vollmondnächte kommen eben einfach viel seltener vor als Sonnentage. Und möglichwerweise erleben wir sie deshalb als etwas besonderes und verhalten uns daher anders.
Einer meiner Nachbarn hier ist ein bedeutender Kameramann, der mit den Größten der großen Regisseure zusammengearbeit hat und jetzt an seinen Memoiren schreibt. Deren Titel: "Der Mond hat Blende 8".
Als Fotograf habe ich den Mond überall auf der Welt versucht, so einzufangen wie ich ihn jeweils gesehen - oder besser - erlebt habe. Es ist mir nur einmal wirklich befriedigend gelungen: in der Wüste.
Als Autor hat man es da leichter, weil der ja die eigene und die romantische Ader des Lesers in Einklang bringen kann.Aber richtig verblüfft war ich über die Frage einer Freundin meiner Kinder: "Wieso malst du so oft den Mond?"
Ich habe keine Antwort, weil mir das bis zu ihrer Frage gar nicht bewusst war. Und jetzt, da es mir bewusst ist, vermeide ich es, tiefer in die Beweggründe dafür einzutauchen.
Klar habe ich - wie alle Kinder - den Mond veralbert: beim Singen von Carl Orffs glerichnamigem Opus oder indem wir den unnachahmlichen Text von Matthias Claudius mit "der weiße Neger Wumbaba" verballhornt hatten. Auch meine aktuelleren Titel von Bildern mit Mondmotiven dokumentieren - ohne, dass es mir bisher klar war - irgendwie lässigen Abstand. So als wollte der Knabe nicht wahrhaben, dass er deshalb so laut pfeift, weil er im dunklen Wald so schreckliche Angst hat...
Zeus und Europa haben's getan                                             Oil on Canvas

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