Sonntag, 2. Oktober 2011

Paarlauf

Ob jung, ob alt - alle können Mazurka tanzen


















Während morgen in Deutschland mit dem 3. Oktober unsere Wiedervereinigung gefeiert wird, zelebriert hier am heutigen Sonntag mit Rosario und  dem Großeltern-Tag (Festa dei Nonni) Italien im 150sten Jahr seines Bestehens einen seiner letzten Höhepunkte zum Ausklang der warmen Jahreszeit.
Gestern wurde unter der Burg mit einer Sagra auf dem ehemaligen Sportplatz zu Füßen der renovierten San Giovanni Batista mit vielen Opas und Omas hineingefeiert.
Seit die geniale Küchenmeisterin Antonia (inzwischen Ur-Ur-Großmutter) das Regiment bei diesen ehrenamtlichen und gemeinnützig veranstalteten Dorffesten nicht mehr führt, gehe ich eigentlich nicht so gerne hinunter. Denn bei immer noch ungebrochener Popularität kommen die Leute auch aus weit entfernten Nachbartälern, und man steht sich die Beine in den Bauch, um mittlerweile für doch recht saftige Preise nur noch die üblichen Standards auf die Plastikteller gehäuft zu bekommen. Früher gab es mal Totani in umido con Piselli oder Tagliatelle con lepre, und bei den Spiedini mit Ziegenfleisch konnte man einfach nicht aufhören zu knabbern...Selbst die gewöhnungsbedürftigen ligurischen Schnecken-Gerichte erreichten Spitzennoten.
Aber längst habe ich (als schlimmer Tanzmuffel) begriffen, dass das Essen auf einer Sagra wie dieser  nebenrangig geworden ist, und die Preise sind wegen des Engagements ligurischer Spitzenkapellen dann auch gerechtfertigt: Es geht nämlich  in erster Linie darum, genug Kalorien für den gleich darauf folgenden Tanz-Marathon reinzuschaufeln. Denn alles, was in so einer Notte magica zählt, sind Mazurka und Tango.
Die Mazurka war ja ursprünglich ein Volkstanz aus Mazuren - also Polen, daher auch Polka - und bekam ihren italienischen Charme wohl durch den Maestro Francesco Pezzini, dem Franz Liszt mit der Polka Mazurka ein musikalisches Denkmal setzte.
Ganz geradeaus eins, zwei, drei, vier mit dem Gewicht  links ausgepägt - eins, zwei, drei, vier rechts ausgeprägt. Dann auf der Stelle mit einer kleinen Verzögerung drei kleine Schritte in der Drehung. Aber wehe, man verpasst den Paukenschlag, auf den alle Tänzer still zu stehen haben, bevor es bei Neuaufnahme der Melodie wieder genauso weiter geht...
Es macht einen unheimlichen Spaß, dieser Begeisterung auf dem Weg zum vollendeten Paarlauf zuzuschauen. Meine nicht allzu große Frau hatte vor einigen Jahren mal mit einem etwas kleineren Landarbeiter eine ganze Nacht lang Mazurka getanzt und ist seither süchtig. Obwohl der Mann nicht besonders gut gerochen habe, hätte seine Meisterschaft als Tanzpartner sie geradezu in Euphorie versetzt. Als sie endlich erschöpft aufgab, stellte sich heraus, dass der Unermüdliche bereits die 80 überschritten hatte. Überhaupt fällt es auf, dass die Mazurka offenbar alters- und geschlechtsmäßig ein Gleichmacher ist. Dass selbst Jungs und Mädels im Disco-Alter ihren Spaß mit älteren oder jüngeren Partnern haben. Wobei vor allem die richtig Alten durch ihr Stehvermögen auffallen.
Da tanzt die solargebräunte und blond extenste Dorfschönheit mit ihrer Großmutter federleicht Runde um Runde. Wobei natürlich die feine, alte Dame rigoros führt. Unser Frantoio schwingt das Tanzbein mit allen Damen, die nicht rechtzeitig  hinter dem Maschendrahtzaun verschwinden, und der Ex-Bürgermeister weiht seine kaum  richtig laufende Enkelin bereits in die Schrittfolge ein. Dabei wird auch klar, wieso die ganz Jungen schon Mazurka tanzen können. Denn wenn die meisten noch beim Essen sind, läuft ein Band mit den populärsten Melodien, und ein Erwachsener findet sich immer, der die Kleinen spielerisch rannimmt. Dass die dann später zwischen den ernst mitzählenden und konzentriert zur Sache gehenden Paaren Fangen spielen, stört niemanden. Das ist eben einfach so ein unnachahmlicher "Italienischer Moment".
Nach zwei, drei Gläsern Wein merke ich immer, wie sich meine Füße auf der Tribüne verselbständigen. Dann nehme ich mir meist vor, bei der nächsten Sagra nicht mehr so feige und faul zu sein. Denn alle können zwar die Schritte, aber beileibe nicht jeder erreicht die Meisterschaft, die Mazurka gleitend zu tanzen. Die wenigen, die Kopf- und Schulterpartie ruhig durch den Kreisverkehr gleiten lassen, sind sofort wahrzunehmen. Da wird wohl so ein alter Tanzbär wie ich wohl doch nicht auffallen, wenn er sich ganz klein macht!
Mal sehen...

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