Zugegeben, der Spruch stammt von meiner pfälzisch-hessisch intonierten Nachbarin Folletto Buono. Vorgestern saßen wir zu einem Abschieds-Schluck vor unserem Haus im Schatten der Piazza und resonnierten über unsere vergleichbar lange Vergangenheit hier auf der Burg. Ihre bessren Hälfte ging es ausgerechnet in den kostbarsten Tagen des Jahres nicht so gut. Corona war es nicht, aber es könnte der Sahara-Staub gewesen sein, der auch meinem Enkel die Atemwege verengte. Jedenfalls blieben wir wie nie zuvor bei dem hängen, was wir hier lieben und früher alles noch konnten. - Und auf was wir nun zunehmend verzichten müssen.
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Die Wolken-Anne auf unserer Terrasse könnte ein Symbol sein: Sie hat im Sandstrahl-Gebläse des Saharastaubs nahezu ihr Gesicht verloren und hält dennoch Stand seit einem Vierteljahrhundert |
Angefangen bei all den Restaurants, die uns die ligurische Küche so schmackhaft nahe gebracht haben und längst nicht mehr existieren und Nachbarn, die leider auch nicht mehr sind.
Folletto, die heiße Motorrad-Braut von einst reitet die PS-Protze zum Beispiel nicht mehr, seit ein Unfall sie für vier Tage ins Koma schickte. Dafür ist sie zur Pferdenärrin und Reiterin mit eigener Isländer-Stute mutiert, was ihre Aufenthalte in ihrem niedlichen Häuschen beschränkt, mit dem wir uns Mauern teilen. Ihr Mann schraubt, nachdem er jahrelang mit den schweren Maschinen zu tun hatte, nun lieber teure Rennräder und E-Bikes zusammen.
Wir - mehr als ein Jahrzehnt älter - können nur noch neidisch sein, was die beiden dennoch alles an Aktivitäten in ihre wenigen ligurischen Wochen packen. Das heißt, meine Frau eigentlich nicht, die ist dem Lesen, den Kreuzworträtseln, den Sudokus und stetig dem "dolce far niente" unverrückbar treu geblieben...
Im Vergangenen Jahr - kurz vor meinem Treppensturz, der fast alles zunichte gemacht hätte - räumte Nachbar und Trödel-Spezialist Fiorenzo die Überbleibsel meiner Aktivitäten aus unserer Cantina:
- Ein paar Renn-Ski, die ich noch in Isola 2000 und Prato Nevoso fahren wollte.
- Zwei komplette Golf-Sets, weil ich nicht mehr daran glaubte, noch einmal die vier herrlichen Resorts in der Nachbarschaft spielen zu können.
- Meine Expeditions-Ausrüstung, mit der ich im Himalaya und in der Krater-Region von La Rèunion unterwegs war.
- Das Ur-Mountainbike aller späteren Bikes, aber nicht mein 3.000 Euro teures
Trek von dem ich sehr hoffe, dass, mein multisportiver Schwiegersohn es einst hier auf dem grandiosen Rad-Wanderweg an der Küste reaktivieren kann. Schau ich auf die Bergstraßen rundherum, kann ich kaum glauben, dass ich die meisten von ihnen noch mit dem Renner gemeistert habe.
Am meisten fehlt mir aber mein kleiner Fischkutter, mit dem ich jetzt wieder gut allein hinausfahren könnte, nachdem ich keine diabetischen Anfälle mehr fürchten muss.
Tempi passati! Jeder Lebensabschnitt hat seinen eigenen Rhythmus, und selbst Verluste und das Verzichten auf Vieles erinnert einen nicht nur an all das Schöne, sondern auch, dass man noch am Leben ist. Es gibt zweifelsfrei ein Leben vor dem Tod, und da ist jeder neue der erste Tag vom Rest des Lebens. Auweia! Da ist er wieder der Herbst-Blues!
Der Engländer sagt: There's no need to cry over spilt milk..."
Folletto Buono in ihrem herrlichen Idiom meint lapidar: "Schlimmä geht immä!"
Als hätte mein alter Freund, der nun emeritierte Chirurgie-Professor mit sezierender Vorahnung eine Vision gehabt, hinterließ er mir vor einigen Jahren schon dieses Gemälde für unser Gästezimmer:
Was wenn der Fisch den Fischer fängt?
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Gouache von Prof. Dr. Rainer Grantzow, Castello 2010 |