Dienstag, 16. Juli 2024

Von Ähnlichkeiten

Gestern beim Frühstück von Angesicht zu Angesicht hat meine Frau etwa Schreckliches gesagt. Oder war es eigentlich schrecklich schön?  Sie sagte: Jeden Tag siehst du mehr aus wie dein Vater.

Dazu muss man vorweg sagen, dass mein Vater meine Frau, als sie es ja lange Jahre noch nicht war, vorbehaltlos sehr geschätzt hat. Das könnte daran gelegen haben, dass sie beide in Berlin geboren, und gewohnt waren, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Währenddessen sich bei meiner Mutter frühe Vorbehalte im Lauf des langen Lebens in innige Zuneigung verwandelte. Ödipussi, schnödipussi Hauptsache du hast deine Mama lieb.

Ich habe ein Porträt von meinem Vater gemalt. Es war eine "Auftragsarbeit" für meine Mutter, die wohl so eine Ahnung gehabt. Das Bild entstand ein paar Monate vor seinem Tod 1988. Ich kann darauf keinerlei Ähnlichkeit zu mir erkennen, weil ich immer deutlichere Merkmale der mütterlichen Linie aufwies.

Tatsächlich sieht meine Frau aktuell wohl das, was ich jeden Morgen in dem überdimensionierten Waschtisch-Spiegel hier auf der Burg sehe: Dadurch, dass ich jetzt stark abgenommen und durch die vielen, rettenden Medikamente nach den vier Operationen viele Haare verloren habe, werde ich meinem Vater tatsächlich immer ähnlicher.

Aber es gibt eben vielerlei ähnlich. Ich selbst neige dazu, bei Adepten gerne die Ähnlichkeit zu ihren Erzeugern zu thematisieren, obwohl ich mir das dann mit etwas Abstand als "Onkelgetue" vorwerfe.

Während ihm nichts
erspart blieb. konnte
sich sein Sohn während 
75 Jahren Frieden
wie eine Made im
Speck entwickeln
Du siehst aus wie, ist ja möglicherweise die Vorstufe zu "wie aus dem Gesicht gerissen". - Will man das denn als Individuum wirklich hören. Wenn die Ähnlichkeit, die erkannt wird, verblüffend ist, sollte man besser so eine Erkenntnis für sich behalten. Eine Ähnlichkeit nimmt nur Anleihen, aber so auszusehen dringt ja direkt durch die Physionomie ins Innere.

Ehrlich gesagt, bin ich aus meinem Vater nie recht schlau geworden, weil er eher ein Töchter-Vater war. Erst kurz vor seinem Tod hatten wir einen persönlichen "Wandel durch Annäherung", bei dem ich im Nachhinein auch bedauere, dass er den Fall der Mauer, die Wiedervereinigung und sein Berlin wieder als Hauptstadt knapp verpasst hat.

Mein Vater war - soweit ich das beurteilen kann - ein hervorragender Jurist und gleichzeitig ein Gutmensch. Auch jemand , der für seine stets frei ausgesprochene Meinung Diskriminierung und Zurücksetzung erfahren musste. - Und er musste in den Krieg für ein Regime, das er nicht nur verabscheute, sondern mit seinen wenigen Mitteln auch bekämpfte.

Nichts von alledem spiegelt sich in meinem Wesen wider. Ich glaube, ich bin noch nicht einmal ansatzweise ein Gutmensch. Dennoch macht es mich irgendwie stolz, wenn die Frau, die mehr als zweidrittel ihres Lebens mit dem meinen geteilt hat, mich so sieht. Das könnte der Ansatz für meine Abbitte sein. Wenn ich meinem in seinem Leben schon nicht ähnelte, dann ist es nur statthaft, im Alter Tag für Tag mehr auszusehen wie er...





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