Dienstag, 23. Juli 2024

All die ungelesenen Bücher

Manchmal muss ich mir selbst Fragen stellen, für die ich keine Antwort finden kann. Zum Beispiel: Wieso einer, der so einen durchgetakteten Tagesablauf hat wie ich, dass ihn schon die kleinste Abweichung nervös macht, immer noch derart impulsgesteuert sein kann?

Ein halbes Jahrzehnt habe ich "Bücherfresser" von einst kaum noch etwas gelesen, was ich nicht selbst geschrieben habe. Kein prämierter Autor oder preisgekrönte Autorin ist mir früher ausgekommen. Nun habe ich keine Ahnung mehr, wieso einer Büchner-Preisträger geworden ist und was innovative, wortschöpferische Sprache sein könnte.

Dazu müssen meine Leserinnen und Leser wissen, dass wir mehrere hundert Bücher entsorgt hatten, bevor wir hier wieder eine dreigeteilte Bibliothek aufgebaut haben. Am Treppen-Absatz hinauf ins Wohnzimmer versteckt sich ein IKEA-Regal, das mit Büchern zweireihig gefüllt ist, die Gäste oder Nachbarn nach dem Lesen hier zurück gelassen haben. Oben in zwei wunderschönen Mahagoni-Boards sind die Bücher wie früher nach dem Alphabet von links nach rechts fortlaufend bis zu einer letzten Ablage geordnet. Auf der türmt sich Ungelesenes mittlerweile beängstigend, dass demnächst eine(n) auf der darunter liegenden Lese-Couch davon  erschlagen werden könnte.

Ich gestehe, von keinem der Regale ging der Impuls aus, wieder intensiver zu lesen. Es wart ihr - liebe Leserinnen und Leser! Seit drei Monaten steigern sich die Zugriffszahlen für meine drei Bloggs jeweils zweistellig, ohne dass ich etwas an meinem Schreibstil geändert hätte - und gegen den aktuellen Trend zu Podcasts. So sehr ich mich darüber freue, wollte ich doch ergründen, woran das plötzlich wachsende Interesse denn liegen könnte.

Lese-Ecken - wie wir sie uns
einst erträumt haben und 
heute kaum noch nutzen

Gut, dass meine erwachsenen Kinder und Leseratten in der Nachbarschaft immer noch aktuelle und angesagte Bücher kaufen, die sie dann mit und meiner Frau geben. So konnte ich mir zumindest die Frage beantworten, wie man denn heute schreibt. Es waren zunächst drei Autoren, die in jüngster Zeit mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurden. Die meisten sind Österreicher. Sie setzen damit eine Tradition fort, die schon in meiner Zeit als Buchhändler unter anderem mit dem fabelhaften Peter Rosei begonnen hatte.

Aber was ist denn in der Zwischenzeit mit dem Erzählen passiert? Ich nenne jetzt bewusst keine Namen, damit ich nicht in den Verdacht gerate, als selbst Gescheiterter  professioneller Eifersucht anheim zu fallen. Außerdem bin ich inzwischen vielleicht auch schon zu alt und zu wenig sachkundig, um urteilen zu dürfen.

Aber nach meinem Geschmack muss sich Erzähltes regelrecht ergießen. Bewusst heischend Konstruiertes fließt eben nicht, und entscheidend ist, dass man sich selbst Geschichten erzählt und nicht für die Ränge in den Kultur-Arenen schreibt. Von den vierzehn Büchern, die ich nach meinem Neuanfang gelesen habe, wird mir nur Isabel Allendes 2022 erschienene Saga "Violeta" in Erinnerung bleiben. Sicher kein so großes Meisterwerk wie das "Geisterhaus", aber so Süffig, dass man es berauscht nur schwer zur Seite legen kann.

Mein oberflächlicher Eindruck - und der gilt auch für die US-amerikanischen Schriftsteller und Autorinnen - ist der, dass immer häufiger das Schicksal von fiktiven, schreibenden Kolleginnen und Kollegen zum Thema wird, weil die Verfasser damit so schön die eigenen Ängste und Sehsüchte in diesem Metier festmachen kann. Und dann reicht auch nur ein gut erdachter Handlungsstrang wie in Robert Seethalers "Ein ganze Leben" offenbar oft nicht mehr aus. Es werden vorzugsweise gleich mehrere und schon gar nicht chronologisch miteinander bis ins Absurde verbunden. Und dann soll das bisweilen auch noch humorvoll sein?

Eine Rezensentin vom renommierten Literatur-Teil der FAZ formulierte hier frei weg zitiert: Man wisse nicht, was der Autor beim Schreiben geraucht hat, aber man müsse bei der Lektüre auf alle Fälle schwindelfrei sein. Ich tue weder das eine noch bin ich das Letztere. Aber mein Lese-Neustart löste doch meine brennende Frage: Interessiert mein Geschreibsel überhaupt noch jemand unterhalb meiner Altersgruppe?

Die Erlösung gab es beim Cena in Piazza: Zwei junge Männer aus Deutschland, die ihre Oma hier oben besuchten, saßen bei mir und entpuppten sich als Leser. Und nicht nur das. Sie fanden es in unserem alten Gemäuer so toll, dass sie es für ihre Zukunft so erhalten wollen.

Es besteht also noch Hoffnung: Sowohl für diese Borgata als auch für ein Schreiben nicht nur im Sinne von  "Luxus und der Moden"...

Immer mehr Junge bei der
Cena in Piazza, nähren die
Hoffnung, dass hier Nahrhaftes
und Leckeres auch von
den nächsten Genrationen 
aufgetischt wird

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