Wer erleben darf, wie sich ein Konzept seines
Lebens realisiert, der sollte daraus zweierlei lernen:
Erstens, dass so viel Glück zu haben, ein
Privileg ist und zweitens, dass das eigene, erfolgreiche Konzept für andere
auch zur Belastung werden kann.
Durch meinen Schwager hatten die Zweitbeste
und ich in den 1970ern den höchstmöglichen Einstieg in die Italienische
Gesellschaft. Mit den Brüdern Paolo und Michele, Söhne eines Stahlmagnaten, der
auch als Vater ein Despot war, machten wir Party, fuhren gemeinsam in den
Urlaub und teilten - so gut es ging - Freud und Leid. Dann wurde geheiratet,
und es kamen die Kinder, derenthalben man sich eine wenig aus den Augen verlor.
Anlässlich einer Reportage über ihre
Heimatstadt sahen wir uns dann wieder. Es waren die 1980er und die Zeit
terroristischer Entführungen. Beide fuhren nun in gepanzerten Limousinen und
hatten eine entsicherte Automatik unterm Sitz. Einfach in eine Bar gehen, ging
nicht mehr. Da mussten schon die Pantere Grigi (Italiens GSG9) in der Nähe sein.
Paolo hatte sich schon immer die Frage
gestellt, wieso einer, dessen Vater einen Stahl-Konzern besitzt, deshalb in
seine Fußstapfen treten müsse. Michele ging es nicht anders. Dabei waren Paolo,
der Ältere, der die Technologie leitete und Michele, der die kaufmännische
Seite regelte, wider Willen auch noch erfolgreich.
Alt wurden beide nicht. Kaum war der immer
trauriger werdende Paolo in seinen Vierzigern angelangt, raffte ihn
Kehlkopfkrebs dahin, und der scheinbar immer heitere Michele jagte sich eine
Kugel durch den Kopf. Das Konzept des Vaters war nicht aufgegangen.
Es muss an der Hitze gelegen haben, dass mir
das gestern justament durch den Kopf schoss (?!), als eine sechsköpfige Familie
ihre Utensilien für einen langen Urlaub auf der Burg über die Piazza zu ihrem
wunderschönen, angemieteten Ferienhaus schleppte. Nach der zweiten Runde
verkündete der Älteste – so um die zwölf:
„Ich habe keinen Bock auf das hier.“
Sein Vater reagierte erstaunlich entspannt –
jedenfalls gemessen an meinen Reaktionen in solchen Situationen damals:
„Dann setzt du Dich jetzt hier an den Brunnen
und schaust dich um. Das ist doch alles ganz spannend hier!“
Der Knabe ließ sowohl durch Körpersprache als
auch durchs Minenspiel erkennen, wie ätzend er die alten Gemäuer fand. Ist
vielleicht auch schwierig, fantasiebegabt zu sein, wenn man beim Dungeons-and-Dragons
am Computer ganz andere Burg-Spannung gewohnt ist. – Wir werden sehen, ob das
Ferien-Konzept des Vaters am Ende aufgegangen ist...
Mein Sohn war im gleichen Alter, meine Tochter
bereits frühreife 14 als wir vor genau zwanzig Jahren in Bellissimi
oberhalb von Dolcedo – zwei Täler weiter westlich unsere Liebe zu
Ligurien entdeckt hatten. Obwohl Bellissimi nicht annähernd so
romantisch war wie unser Borgo, waren beide von Anfang an Feuer und
Flamme für diese Wehrdörfer. Diese Begeisterung unserer Kinder war auch die
Triebfeder als wir sieben Jahre später das Haus hier an der Piazza gekauft
haben und dann einrichten mussten. Was haben die Kids geschleppt und sogar den
Möbelwagen von Deutschland hin und her gefahren. Seither ist es für sie immer
ein Fest, wenn sie es schaffen, auf die Burg zu kommen. Aber nun – im richtigen
Leben angekommen – hindert sie die sehr eng gewordene Berufswelt, das
auszuleben, und Enkel wird es vermutlich auch nicht mehr geben...
So ist das mit Konzepten. Man muss den
Augenblick leben und dankbar sein. Wenn der Boanl kommt (Kurzform für
Boandlkramer – so heißt der Tod auf Bayrisch), dann bleibt eh nur diese letzte
Erkenntnis von allen Konzepten: Omni mecum porto – alles Meinige trage ich bei
mir. Der Boanl lässt nämlich „keinen Bock“ nicht gelten!
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