Nicht nur weil sich unsere Häuser hoch über
dem Talkessel an diesen steilen Felsgrad
klammern, scheint die höhere Warte für die Betrachtungsweise der
Burggeister so passend.
Ein Borgo, der gerade mal zwei
Fußballfelder groß ist und über drei Kirchen oder Kapellen (eigentlich vier)
verfügt, muss manifestiert im Glauben sein.
Vergangenen Donnerstag also hatten wir
Burg-Bewohner auf der unteren Piazza
mal wieder eines unserer spontanen Dorffeste. Wenn die Zweitbeste und unsere
Freundin Petronella in Partylaune sind, gibt es eben kein Halten. Es sind ja
neue, permanente Residenten hinzu gezogen, und die sollten sich eben auch mal
kennen lernen. Der Jubel war umso größer, weil erstmalig in all den Jahren die
Italiener bei so einer Zusammenkunft in einer Überzahl drei zu eins waren, was
zusätzlich gefeiert wurde wie der Halbfinal-Sieg der Squadra über
Merkel-Deutschland bei der vergangenen Fußball-Europameisterschaft.
Natürlich bogen sich wieder die Tische unter
selbst gemachten Spezialitäten, selber ausgebauten Bio-Weinen in Rot und Weiß
sowie Prosecco bis zum Abwinken. Auch ich hatte Grund, ein wenig stolz
zu sein, denn meine spaghetti con pesto speciale erhielten durchweg ein
„Daumen hoch“. La notte magica dauerte von sechs bis Mitternacht. Die eigentliche
Sensation war jedoch, dass unsere Seelensammlerin Electra bis zum
Schluss durchhielt. Normaler Weise nippt sie nur schüchtern an einem Gläschen
und ist gleich wieder verschwunden. Diesmal trotzte sie der babylonischen
Sprachverwirrung und stimmte zu später Stunde sogar mit Ada ligurische
Volkslieder an. Was war nur in sie gefahren?
Die Antwort kam kurz bevor sich die
Gesellschaft auflöste: Seit einigen Wochen ist die mittelalterliche Santa Anna
an der oberen Piazza voll eingerüstet, damit ihre maroden Mauern
stilecht wieder aufgerüstet werden. Wenn sie restauriert ist, wird das Ensemble
oben wohl einer der schönsten Dorfplätze von Ligurien sein: weitläufig umstellt
von Einzelhäusern nach Osten und von einer bunten Häuserreihe nach Westen; –
eben wenn!
Denn natürlich fehlt es wieder an Geld. Also
steht Electra auf, bekreuzigt sich und bekennt, dass für das Dach der
Kirche noch Geld benötigt werde. Und wo wir doch alle gerade so nett
beieinander säßen, wäre es doch angebracht, dass alle ihren Teil dazu beitrügen
Savonarola hätte
seine Freude an ihr gehabt. Großartig, wie sie es geschafft hat, mit ihrer
inquisitorischen Stimme die Runde im Alter von 16 bis 80 in Ehrfurcht erstarren zu
lassen.
Die Spenden sind ihr also sicher, weil sie es
auch mit Geschick und deutlichem Fingerzeig immer wieder schafft, il Signore
mit einzubeziehen.
Diese Geste, mit dem Zeigefinger in den Himmel
zu zeigen, um von I h m zu reden, haben sich mittlerweile auch alle
anderen, älteren Dorfbewohner bei ihr abgeschaut. Neulich kam der bald
80jährige Falco mit seinem Hund an der Leine und einem Skistock in der
Hand von einer ausgedehnten und steilen Runde oberhalb des Dorfes über die
Piazza zurück:
„Mann, Du siehst aber fit aus“, sage ich.
Er: „Ach weißt du Obelix? Jetzt brauche ich
schon einen Stock, weil mein Gleichgewichtssinn nicht mehr so gut ist. Ach und
die Knie tun mir weh. Und schau, wie dick mein Hund geworden ist, weil ich nur
noch eine Stunde mit ihm unterwegs bin. Ich denke (kurzer Fingerzeig zum
Himmel), il signore hat bereits ein Auge auf mich geworfen...“
Ja, auch das Jammern findet hier beinahe auf
Augenhöhe mit dem Allerhöchsten statt.
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