Bislang brauchten wir der Verwandtschaft in Deutschland nichts vorzustöhnen. Was die Hitze anging, waren die uns heuer immer ein paar Grade voraus. Wenn wir im Fernsehen die Bilder von einem der heißesten Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland sahen, kam da immer irgendwie Urlaubsstimmung und Ferien-Aktivismus rüber. War das bei uns früher auch so?
Jetzt jedenfalls verfallen wir in einen Zustand, den Zoologen vermutlich als das genaue Gegenteil von Winterschlaf bei einer Spezies beschreiben, die später mal homo gerontos heißen könnte. Während sich die Feriengäste tagtäglich zum Strand hinunter begeben, führen wir ein regelrechtes Schatten-Dasein. Da sind wir auch froh, dass wir außer der Terrasse noch die Piazza vor der Haustür haben. Nur zum Gießen nach Sonnenuntergang und zum Sterne-Gucken (jetzt ist ja die Zeit der Plejaden mit jeder Menge Sternschnuppen, bei denen man sich etwas wünschen kann) ist es da in diesen Tagen auszuhalten. Noch nach Mitternacht fühlen sich ihre Fliesen an, als habe jemand eine Fußbodenheizung auf volle Pulle gestellt, und durch die vielen Pflanzen-Töpfe wabern dort auch noch Wolken blutdurstiger Mini-Bestien durch die Dunkelheit...
Die Piazza also! Haben die Burg-Baumeister von einst das in weiser Voraussicht so vorgehabt, oder ist die nach Westen offene Lage auf dem erhöhten Podest des Felsgrates einfach nur eine Anpassung an die Gegebenheiten gewesen? Jedenfalls gibt es mit dem Wandern der Sonne immer wieder ein Schattenplätzchen auf der Piazza, an dem man es eine Zeit lang selbst bei größter Hitze gut aushalten kann.
Der Burg-Baumeister aus Deutschland, der sich vor mehr als drei Jahrzehnten des zentralen Gemäuers angenommen hatte, brachte uns gegenüber eine genau ausgerichtete Sonnenuhr an, die sogar die Sommerzeit anzeigt. Allerdings ist beim derzeitigen Zenit dieser inzwischen als Blödsinn enttarnten Zeitumstellung der Schlagschatten des Burg-Daches so stark, dass die Uhr für Stunden außer Funktion ist (siehe Foto rechts oben).
Aber wir haben - da unsere Armbanduhren an Burg-Tagen ausrangiert sind - ja auch noch die Glocken von Santo Stefano.
Wenn es um diese Tageszeit dann selbst im Schatten nicht mehr aus zu halten wäre, gibt es eine weitere Option: die Wind-Kreuze...
Unsere drei Hauptgassen führen nahezu parallel von Süden nach Norden den Berg hoch. So gibt es - egal ob überhaupt ein Wind geht - allein durch die steigende Thermik einen steten Hauch. Da die Piazza drei überschattete Ausgänge hat und nach Westen offen ist, entstehen zusätzliche Strömungen, die sich an bestimmten Stellen kreuzen. Dorthin stelle ich dann meinen Stuhl und genieße quasi eine natürliche Klima-Anlage, damit mein von der Hitze zermatschtes Hirn sich solche langweiligen Hundstage-Posts ausdenken kann wie diesen hier...
Mittwoch, 31. Juli 2013
Samstag, 27. Juli 2013
Der Tigermücken-Club
Seit mein Computer wieder mehr schlecht als recht funktioniert, erreichen mich auch wieder direkte Mails von den paar verbliebenen Burgbriefe-Lesern:
"He Obelix, was schreibst du immer von deinem Menschen-Zoo? Wo doch deine anderen zoologischen Geschichten viel spannender sind. Zum Beispiel die über die Hühner - vor allem mit dem Hinweis auf deine tolle Suppe..."
Also gut, schließlich ist das Ego eines Bloggers schon auch irgendwie von Zugriffszahlen abhängig. Hier also die neuste tierische Geschichte aus unserem alten Gemäuer:
Die Verbreitung von Angst erzeugenden Geschichten greift gerne unter den Burg-Frauen und -Fräulein um sich. Und zwar mindesten so rasant, wie die sich angeblich epidemisch in Italien (und nur in Italien?) ausbreitende Tigermücke.
Es begab sich, dass die Zweitbeste eines späten Morgens mit zur Sonne gewandtem Rücken erwachte und aussah wie eine Krater-Landschaft beziehungsweise eine Götterspeise mit Vanille-Sauce. Sie hat wegen ihres reichlich vorhandenen süßen Blutes schon manchen Spott ihres diabetischen Mannes ertragen müssen, der deswegen erstaunlich oft - neben ihr liegend - verschont wurde. Wir hatten ja leider kein Internet, um die sich ausbreitendes Furcht noch zu beschleunigen. Aber zum Glück gibt es ja Telefon: Die berühmte, dauernd betroffene Tante B. aber auch die schönste aller meiner Töchter sind hervorragende Rezipienten für Geschichten des täglichen Ungemachs. Vor allem Töchterchen heizte die Angst vor dem drohenden Dengue-Fieber auf der Burg noch an - wo wir doch direkt neben dem Brunnen hausen und die Zweitbeste ja auch täglich für gute Brutplätze durch ihr exzessives Gießen der Piazza-Blumen sorgt.
Vorgestern also unsere reunione mensile di vicini - das Abendessen mit der Nachbarschaft auf der piazza castello: Diesmal waren es mehr als 40 Teilnehmer; darunter ein deutliches Übergewicht an Burgfrauen und -Fräulein, die das Tigermücken-Thema derart emphatisch aufnahmen, dass ich dem des Deutschen mächtigen Teil die sofortige Gründung eines Tigermücken-Clubs empfahl.
- Analog zum bereits bestanden habende Tigerenten-Club: Verständnisloses Anstarren, und wieder einmal kam ich mir vor wie der Entenhausener Universal-Wissenschaftler Daniel Düsentrieb, der in den Mickymaus-Heften ja immer wieder seinen Nerd-Humor unter Beweis zu stellen hatte; beispielsweise die Erfindung von Schwarzlicht, dass er erfand, um helle Räume dunkler zu machen.
Damit ich also nicht ganz dumm da stand - als alter Sack aus längst verflossenen Comic-Tagen, gab ich die Kurz-Version von der hölzernen Tigerente, die der geniale Maler, Zeichner und Schriftsteller Janos einst in den 1970ern und 1980ern auf eine Reise ins schöne Panama schicken wollte und die später für Kinder auch fernsehtauglich weiter entwickelt wurde... Das kam nicht gut an. Wieder einmal stand der Obelix als völlig unempfindlich für wahrhaft begründete weibliche Ur-Ängste da.
Vielleicht wäre das der Zeitpunkt gewesen, im Kerzenlicht in gebotener Dramatik mein Hemd vom Körper zu reißen, um meinen breiten Rücken zu präsentieren: Der war längst so erblüht, dass er die berühmte Chaine of Craters Road auf Hawaii in den Schatten gestellt hätte. Mauna Kea und Mauna Loa oder sollte ich besser sagen Vesuvio, Etna und Stromboli standen da schon kurz vor dem Ausbruch...
Aber was verstehen denn Männer schon?
"He Obelix, was schreibst du immer von deinem Menschen-Zoo? Wo doch deine anderen zoologischen Geschichten viel spannender sind. Zum Beispiel die über die Hühner - vor allem mit dem Hinweis auf deine tolle Suppe..."
Also gut, schließlich ist das Ego eines Bloggers schon auch irgendwie von Zugriffszahlen abhängig. Hier also die neuste tierische Geschichte aus unserem alten Gemäuer:
Die Verbreitung von Angst erzeugenden Geschichten greift gerne unter den Burg-Frauen und -Fräulein um sich. Und zwar mindesten so rasant, wie die sich angeblich epidemisch in Italien (und nur in Italien?) ausbreitende Tigermücke.
Es begab sich, dass die Zweitbeste eines späten Morgens mit zur Sonne gewandtem Rücken erwachte und aussah wie eine Krater-Landschaft beziehungsweise eine Götterspeise mit Vanille-Sauce. Sie hat wegen ihres reichlich vorhandenen süßen Blutes schon manchen Spott ihres diabetischen Mannes ertragen müssen, der deswegen erstaunlich oft - neben ihr liegend - verschont wurde. Wir hatten ja leider kein Internet, um die sich ausbreitendes Furcht noch zu beschleunigen. Aber zum Glück gibt es ja Telefon: Die berühmte, dauernd betroffene Tante B. aber auch die schönste aller meiner Töchter sind hervorragende Rezipienten für Geschichten des täglichen Ungemachs. Vor allem Töchterchen heizte die Angst vor dem drohenden Dengue-Fieber auf der Burg noch an - wo wir doch direkt neben dem Brunnen hausen und die Zweitbeste ja auch täglich für gute Brutplätze durch ihr exzessives Gießen der Piazza-Blumen sorgt.
Vorgestern also unsere reunione mensile di vicini - das Abendessen mit der Nachbarschaft auf der piazza castello: Diesmal waren es mehr als 40 Teilnehmer; darunter ein deutliches Übergewicht an Burgfrauen und -Fräulein, die das Tigermücken-Thema derart emphatisch aufnahmen, dass ich dem des Deutschen mächtigen Teil die sofortige Gründung eines Tigermücken-Clubs empfahl.
- Analog zum bereits bestanden habende Tigerenten-Club: Verständnisloses Anstarren, und wieder einmal kam ich mir vor wie der Entenhausener Universal-Wissenschaftler Daniel Düsentrieb, der in den Mickymaus-Heften ja immer wieder seinen Nerd-Humor unter Beweis zu stellen hatte; beispielsweise die Erfindung von Schwarzlicht, dass er erfand, um helle Räume dunkler zu machen.
Damit ich also nicht ganz dumm da stand - als alter Sack aus längst verflossenen Comic-Tagen, gab ich die Kurz-Version von der hölzernen Tigerente, die der geniale Maler, Zeichner und Schriftsteller Janos einst in den 1970ern und 1980ern auf eine Reise ins schöne Panama schicken wollte und die später für Kinder auch fernsehtauglich weiter entwickelt wurde... Das kam nicht gut an. Wieder einmal stand der Obelix als völlig unempfindlich für wahrhaft begründete weibliche Ur-Ängste da.
Vielleicht wäre das der Zeitpunkt gewesen, im Kerzenlicht in gebotener Dramatik mein Hemd vom Körper zu reißen, um meinen breiten Rücken zu präsentieren: Der war längst so erblüht, dass er die berühmte Chaine of Craters Road auf Hawaii in den Schatten gestellt hätte. Mauna Kea und Mauna Loa oder sollte ich besser sagen Vesuvio, Etna und Stromboli standen da schon kurz vor dem Ausbruch...
Aber was verstehen denn Männer schon?
Donnerstag, 25. Juli 2013
Die Versuchung bedingt die Vertreibung
Das mit Adam und Eva aus der Bibel ist im
Prinzip eine Parabel darüber, dass der Mensch immer wieder Schwierigkeiten haben wird, mit dem
zufrieden zu sein, was er hat.
Auf der anderen Seite – also jenseits des Gartens
Eden – gibt es aber auch ohne die einschlägigen Eigenschaften vom Baum der
Erkenntnis Entwicklungen, die jene nicht verpassen sollten, die fest daran
glauben, dass Veränderungen auch etwas bewirken könnten...
Am vergangenen Sonntag, waren wir mit Paula
und Paul in der Nähe vom Nava-Pass in dem Örtchen Cosio D’Aroscia.
Dort findet jeweils am dritten Wochenende im Juli die Fiera delle Erbe
statt, aber das wussten wir eigentlich nicht. Wir hatten den Tipp bekommen, mal
bei Da Maria so einem ligurischen Dauer-Gelage beizuwohnen: Gefühlte 20
Gänge (irgendwann zählt man einfach nicht mehr mit), ordentliche Hausweine in
Rot und Weiß, Mineral- oder Brunnenwasser, Kaffee, Grappa und Limoncello – tutto
compreso für 25 Euro pro Nase. Da kann
über ein, zwei Speisen, die dem teutonischen Gaumen nicht so mundeten,
absolut hinweg gesehen werden. Die Fahrt hätte sich also in jedem Fall gelohnt.
Aber durch die Fiera war der malerische
Ort nicht nur herausgeputzt und in Festtagslaune, sondern bot auch ein
reichhaltiges Programm. Da hat es natürlich nicht geschadet, dass das schmucke
Stadtbild wie eine kostbare Brosche - bedingt durch das regenreiche Frühjahr –
im geradezu explodierenden Grün der steilen Bergflanken prangte.
Die Besucher wurden mit angebrachten Pfeilen durch
den Ort gelenkt, der in der Zeit der Ottonen im frühen Mittelalter bereits
erstmals erwähnt wurde. Es spielte sogar ein Wander-Trio Musik aus jener Zeit,
während Kids auf einer anderen Piazza live Gruppen-Disco-Dance übten.
Dazwischen gab es Stände zum Verkosten oder liebevoll gestaltete Stationen aus
der alten Handwerkszeit.
Paul, der selber einmal einen Handwerksbetrieb
gehabt hat, schwärmte aber vor allem von der handwerklichen Liebe zum Detail
bei der Ausgestaltung des Ortes: Die Bepflasterung zwischen den historischen
Gemäuern war ohne Makel. Brunnen waren nicht einfach aufgeschraubte
Wasserhähne, sondern mit alten Armaturen verschönert worden. Und wenn es
zwischen den liebevoll restaurierten Gebäuden doch mal einen Leerstand gab,
fiel er nicht sonderlich auf, weil eben keine Bretter-Verschalungen oder
Plastik-Folien die Atmosphäre verschandelten. Kaum zu glauben, dass dieser Ort
zweimal komplett zerstört und auch schon mal in der Gegenwart quasi aufgegeben
war...
Uns wurde versichert, Cosio D’Aroscia
atme nicht nur an Festtagen volles Leben, weil die Einheimischen aber auch die
überwiegend aus Italien Zugezogenen sich engagiert um den Ort kümmerten.
Als wir heim in unseren Borgo kamen,
fielen uns als erstes die verrottete Böden unserer Gassen auf. Auch wir haben
schön restaurierte Häuser, aber dazwischen eben ruinenhafte Leerstände mit
zugenagelten Fensterhöhlen, an die wir uns (leider) gewöhnt haben. In Zeiten
der Krise gibt es wenig Hoffnung, dass sich daran so bald etwas ändern wird, weil
die Struktur in unserem Borgo eben eine andere ist. Wir sind zwar nahe
am Meer, aber bieten keine wirkliche Alternative zum Strandleben, während auf
Höhe des Nava-Passes tatsächlich so eine Art gebirgige Sommer-Frische
stattfindet.
Paul und Paula sind - wie die meisten anderen
ausländischen Hausbesitzer höchstens zweieinhalb Monate hier, auch die
Zweitbeste und ich bringen es ja selten auf mehr als sieben Monate. Die Einheimischen aber auch die neuen Burg-Geister sind alle
bereits im fortgeschrittenen Alter. Kinder und Jugendliche gibt es - selbst im Capo
Luogo kaum. Dennoch hat die Gemeinde – wohl für eine andere Zukunft – dort
zwei große Sportplätze anlegen lassen, auf
denen niemand spielt und die sich die Natur beginnt, mit Kohorten
massivem Unkrautes zurück zu erobern...
In Zukunft wird der Linienbus nach einem
Fahrplan verkehren, der die 12 Kilometer in die Stadt hinunter zu einer
Halbtages-Reise macht. Von den ehrgeizigen Kultur-Plänen unserer schönen
Bürgermeisterin ist jetzt – in Zeiten des
elektronischen Umbruchs am Buchmarkt
- die Idee geblieben, im ehemaligen Kinder-Asyl eine Bibliothek zu
eröffnen; für wen, und durch wen geführt?
Seht Ihr! So schnell gerät einer in
Versuchung, sich über ein einzigartiges Paradies Gedanken zu machen, die einen
leicht über Vertreibung nachdenken ließen. Sind wir doch zufrieden, dass wir
noch die Möglichkeit haben, etwas zu ändern...
Dornjasminchen
Es war einmal ein Mann, den selbst
Wohlwollende nicht als Märchenprinzen bezeichnen wollten, aber er lebte auf
einer Burg und ward dort einigermaßen wohl gelitten. Kein Typ zum
Pferdestehlen, aber zum exzessiven Wildschwein-Fressen hätte er getaugt, wenn
seine jagenden Nachbarn ihm denn von denen mal eines abgegeben hätten...
Es gingen die Jahre ins Land, und weil sich
unser Held immer mehr in seine virtuelle zurück zog, gab er der realen Welt
Gelegenheit zum Vormarsch. Das schuf diverse Feindbilder, von denen es jedoch
keines schaffte, ihn derart herauszufordern wie die kletternde Variante des
ansonsten so herrlich duftenden Jasmins. Beharrliche Burgbrief-Leser werden
jetzt in verblasster Erinnerung aufstöhnen: „Nicht schon wieder das Klagen über
grenzenloses Wachstum!“
Aber das muss doch mal geschrieben werden! In
Zeiten der Krise, wo sich alles und alle zurücknehmen, glaubt ein in schrofigem
Fels wurzelnder Jasmin, er könne sich alles herausnehmen – quasi ohne Rücksicht
wuchern und wachsen. Was hat der Mann von der Burg nicht alles unternommen, um
der Okkupation durch dieses doch eigentlich unterversorgte Gewächs Herr zu
werden.
Nächtens rückte er ihm mit der deutschen
Gardena-Gartenschere auf den rankenden immer blühenden Pelz. Aber was so ein
italienischer Jasmin ist, ignoriert natürlich derart teutonisch eingrenzendes
Unterfangen. Der Hydra gleich, produzierte er für jede abgeschnittene Ranke
zwei neue. Und er wusste, wo er seinen Feind zu stellen hatte; in dessen
Arbeitszimmer.
Vor Halbjahres-Frist noch brutal gekappt, war
er im April schon wieder auf Augenhöhe mit seinem Widersacher. Der riss zwar
noch brutal die Schlagläden aus der lähmenden Umklammerung, aber konnte dann
doch nicht verhindern, dass Ende Mai die Fenster schon zugewuchert waren und
die vielen herein drängenden Blüten nur
ein schwacher Ausgleich für das schwindende Tageslicht waren.
Dann passierte etwas, das den bereits
aussichtslosen Kampf endgültig zu einer vernichtenden Niederlage machte: Ein Crash des Burg-Computers schnitt
unseren Mann komplett von der Welt da draußen ab. Die vorübergehende Aufgabe
seines Arbeitszimmer nützten die Kohorten des Kletter-Jasmins gnadenlos aus.
Weil die Hitze ein Schließen der Fenster nicht zuließ, rissen sie die
Fliegengitter ein, wucherten über Drucker und Fax und erreichten vor kurzem den
Schreibtisch, die Tastatur, sowie den Bildschirm. Ganz tief aus dem grünen
Gerank flimmert nun nur noch das blaue Lichtlein eines in der Agonie
speichernden Motherboards. Wird irgendjemand irgendwann diese letzte Nachricht
lesen?
„Hallo? Ist da draußen irgendeine beherzte
Prinzessin, die mich hier raushaut? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Euer
Dornjasminchen – Mann, ist das heiß hier!“
Ein Weihnachtsmann im Juli
Die Älteren unter den Burgbriefe-Lesern werden
sich vielleicht noch erinnern, dass wenn in den 1950ern ein Autofahrer den
anderen mit „Sie Weihnachtsmann Sie!“ beschimpfte, es beinahe gekracht hätte.
Derart von Kindheitserinnerungen getrübt, war mein Verhältnis zu dieser
rotnasigen, weißrot gewandeten Kunstfigur stets eine ambivalentes. Eigentlich
bis heute.
Daran hatte auch die von der Zweitbesten für
mich ersonnene Rolle als Weihnachtsmann/Nikolaus nichts geändert. Für unsere Kinder und die sie umgebende,
gefühlte 50 Rangen umfassende Rasselbande, die sich einige Jahre am 6. Dezember
bei uns einfand, musste ich ran.
An einmal erinnere ich mich besonders: Unser
Garten war zum frühen Zeitpunkt tief verschneit, und damit es so aussah, als
sei der Alte im Bademantel tatsächlich unversehens im unberührten Schnee
gelandet und polternd an die Terrassen-Tür gestapft, war ich mit der Leiter
über den Nachbarszaun gekommen. Leider waren mein Haupthaar und der Bart damals
noch nicht weiß. Weshalb ich ein aus Glaswolle bestehendes Ungetüm und aus dem
selben Material aufgeklebte Brauen im Gesicht trug. Der Schweiß lief in
derartigen Strömen, dass die Glaswolle regelrecht den Bach runter ging, und
mein vorlauter Sohn krähte: „Das ist ja der Pappi.“
Nur sein bester Freund wollte das nicht
glauben, blieb weiter in Ehrfurcht erstarrt und
hörte sich beeindruckt an, was ich ihm aus dem Goldenen Buch vorlas. In
zwei Monaten heiratet der mittlerweile über 1,90 große Lackel einen blonden
Engel. So lange ist das her!
Die aktuellen Schweißströme, die heute vom
lichter werdenden Haar in das Weiß meines Bartes rinnen, gemahnen mich ans Hier
und Jetzt und daran, dass mich der Weihnachtsmann in meiner Wahlheimat wieder
eingeholt hat.
Ich mache mich durch das Leben auf der Burg ja
wirklich rar. Aber zweimal pro Woche steige ich doch herab, um turnusmäßig
Dinge zu erledigen. Dazu gehört, dass ich Entkalker für die Heizung kaufen und
einen Inspektionstermin bei der sie betreuenden Firma vereinbaren muss. Ich
brauche dazu weder eine Vertragsnummer noch nenne ich meinen Namen. Denn kaum
trete ich meist sommers durch die Bürotür, kreischen die drei Grazien, die den
Laden schmeißen: „Babbo Natale! Babbo Natale!“ Und dann muss
ich erst mal lange von dem Land im hohen Norden erzählen, während sie auswendig
meine Daten im Computer aufrufen...
Geht die Zweitbeste mal alleine über den
Markt, wird sie mittlerweile mehr als einmal gefragt, wo denn ihr Babbo
Natale stecke.
Mich trifft angesichts dieses einprägsamen Signalements
(Obelix bin ich ja auch nicht los geworden) die schreckliche Erkenntnis, dass
ich die uns drohende Altersarmut so weder als Spion noch als Bankräuber mildern
könnte. Stellt Euch nur mal vor, ich raube – was mir gut zu Gesicht stünde - die Banca
Ambrosiana aus...
Die Carabinieri bräuchten ja nur das Personal
zu befragen:
„Das war der Babbo Natale, der wohnt
hoch in den Bergen an einer Piazza, über der noch im Juli der Weihnachtsstern
hängt!“
Die Hühner sind los!
Wenn alle hier eine Ortsveränderung vornehmen,
weil sie Ferien haben, weshalb sollten wir dann noch zu Hause bleiben? So dachten sich das wohl
drei der schönsten Hühner des Borgos und machten sich in der Dämmerung
auf den Weg...
Ihre Herrin Gutemiene weilt
ausgerechnet bei den Römern, während Majestix in Imperia die Panini
verdienen muss. Wer immer die Prachtweibchen füttern sollte, hatte die
Käfigtüre offen gelassen. Also wanderten die drei gefiederten Grazien den Weg
von der Piazza Santa Anna hinunter zum Castello – wohl ahnend,
dass die immer sorgfältig gießende Zweitbeste in den mittlerweile
mannigfaltigen Blumentöpfen allerhand leckeres Getier als Speiseplan-Ergänzung
zur eintönigen Körner-Diät heranzüchtet.
Und was das für ein Gegacker und Getratsche
bei jeder Begutachtung einer Leckerei war! Da wurden die weiß gefiedert
ondulierten Köpfchen ruckartig zusammen gesteckt und jeweils Meinungen
eingeholt. Ja Köpfe zusammenstecken, das können die Hühner! Und als seien sie
sich der eigenen Wirkung bewusst, setzten sie sich eitel knusperbraun in
leuchtend rote Geranien-Töpfe und sahen aus wie verwegene Hut-Kreationen.
Um ehrlich zu sein, das sah tatsächlich aus,
als gehörte es so. Aber es kann das schönste Huhn ja nicht in Frieden leben,
wenn es den besorgten Nachbarn nicht gefällt. Und so nahm die Ketten-Reaktion
ihren Anfang: Die Zweitbeste rief nach der Seelenfängerin (als sei die auch für
geflügelte anime zuständig):“Polli, polli in piazza!“
Die Seelenfängerin rief Vittorio, der
ja bekanntlich einen ganzen Stall voller Hähne und Hühner hatte, als es ihm
noch besser ging. Doch Vittorio weilte zum Morgen-Kaffee unten bei der Girasole.
Also musste Signora Eddas Nepote von der Baustelle der Santa Anna
her, und im nu waren vier, fünf Leutchen hinter den drei als fleißig bekannten
Legehennen her.
Doch bitte! Das mit den dummen Hühnern ist ein
Vorurteil von Stadtmenschen. Die drei Burg-Brüterinnen jedenfalls ruckten kurz
mit ihren Köpfen und legten ihren Galopp-Gang ein, um unter dem Torbogen von
einem der drei Piazza-Ausgänge zu verschwinden.
Zickezacke Hühnerkacke waren sie in einem
vorher ausgekundschafteten Stall verschwunden und blieben dortselbst –
unerreichbar für Besen und längste Arme...
Seither sind einige Tage vergangen. Anstatt
sich mit Bongiorno zu begrüßen, stellen sich die Burg-Geister nun die
Frage, ob man etwas von den Hühnern gehört oder gesehen habe.
„Ja, sie waren vorhin gemütlich in der Via
Colombo unterwegs, aber als sie mich sahen, waren sie sofort verschwunden.“
Man macht sich Sorgen wegen möglichen
Begegnungen der unangenehmen Art. Was wenn Lazaro und Ginger, die
samtpfotigen Jäger, über die Hühner
herfallen? Auch aus der Luft drohen ja Angriffe des Rauhfuß-Bussards, des Poiana
Calzata.
Komisch, dass da keiner den zynischsten Räuber
von allen im Kalkül hat: den ansonsten auf Wildschweine spezialisierten Obelix.
Dem kam doch tatsächlich beim Anblick dieses herrlichen Federviehs seine
legendäre Hühnersuppe La Belle Poule in den Sinn. Eine einzigartige
Essenz aus möglichst fettem Hühnerfleisch, Hummerscheren und Sommertrüffeln –
abgeschmeckt mit Estragon, Zitronengras und geriebenem, frischem Ingwer...
Aber dafür ist es ja viel zu heiß!
Dienstag, 16. Juli 2013
An Tagen wie diesen...
Herrlich! Mein Computer ist kaputt. Deshalb
kann ich auch Bayern3 via Webradio beim Schreiben nicht mehr hören. Der Sender
spielte bis zum Crash seit einem Jahr gefühlte hundert Mal pro Tag diesen Song
von den „Toten Hosen“. Campino, den ich ansonsten sehr schätze, wird mir
nicht böse sein, wenn ich seinen allein auf
kommerziellen Erfolg ausgerichteten Song als für tote Hosen nicht adäquat bezeichne. - Selbst
wenn normaler Weise nächtens auf den sommerlichen Rhein-Terrassen zumindest wollene
Hosen getragen werden sollten...
Da merkt ein betagter Edelpunker wie ich eben
auch, dass die ehemalige Punk-Band noch so gar nicht „tote Hose“ ist. Die Jungs
– selbst schon über fünfzig - sind wohl noch voller Saft und Kraft. Wer würde
sich sonst songtextlich noch zu einem derartigen Massenauflauf mit lauter Musik
verabreden.
Allein schon die Vorstellung, ich müsste die
figürlich etwas ausgeuferte Zweitbeste bei der aktuellen Hitze nur mal quer
über die Piazza zur Musik des Professoren-Paares tragen, verursachte ja schon
einen virtuellen Herzinfarkt.
Ich bin nämlich wirklich eine wahrhaft tote
Hose, und an Tagen wir diesen mit 35 Grad im Schatten noch nicht einmal
erinnerungsmäßig zu irgendwelchen Minnediensten fähig. Ich will eingedenk des
Frühjahrs hier aber gar nicht meckern.
Es ist herrlich! Aber Tage wie diese muss ich
schon sehr dosiert angehen: Nach der morgendlichen Dusche setzte ich mich kurz
ins kühle Treppenhaus, damit ich nicht gleich wieder klatschnass bin. Den
Morgen-Cappuccino nehme ich auf der Schwelle des noch im Schatten liegenden
Nachbarhauses. Dieser Platz ist eigentlich für den Nachbarn Vittorio
reserviert, den man aber an Tagen wie diesen überhaupt nicht mehr zu Gesicht
bekommt. Gefrühstückt wird drinnen im kühlen Esszimmer, und dann geht jeder
seiner (Schleich)Wege.
Nur wegen der Temperaturen habe ich nach über
einem Jahr Pause wieder mit dem Malen angefangen, denn tatsächlich ist mein
Cantina-Studio der Kältepol unseres kleinen Burg-Universums. Daran, dass mehr
Farbe an meinen Händen klebt, als gestaltet auf die Leinwand gehört, erfahre
ich, dass es noch ein weiter Weg sein wird, bis der Wiederanfang tatsächlich
einer sein wird. Aber wir haben ja gerade erst Mitte Juli. Da warten noch viele
Cantina-Tage auf mich.
Auf Entzug
Manchmal kann die Zweitbeste so provozierend
praktisch sein. Da heule ich in die geborstenen Eingeweide des Burg-Computers,
und sie sagt im Vorbeigehen:
„Ja, dann schreib doch einfach mal wieder mit
der Hand!“
Herrliche cyberspacige Naivität – kein
Internet, kein Blog, kein Post. So sieht sie aus - die traurige Realität. Ganz
abgesehen davon, dass ich nur noch so selten mit der Hand schreibe, dass die
Glückwünsche auf eventuellen Geburtstagskarten auch für mich ein so
unleserliches Gekrakel abgeben, dass sie auch Verfluchungen sein könnten...
Nun möchte man meinen, dass der Mensch im
Älterwerden so manchen Entzug durchmacht um folgende schneller überwinden zu
können: Dass der Sport nicht mehr so geht, die Wichtigkeit durch den Beruf
fehlt, die einst herausragenden Leistungen als „latin lover“ eher zur
„Ochsentour“ geraten (um es dezent auszudrücken), und dass im Vorfeld dazu auch
noch das Hinternzwicken heißblütiger Italienerinnen ausbleibt.
Aber das Schreiben in diesen Tagen ist ein so
bequemer Genuss geworden, dass die Komplikationen infolge eines Computer-Crashs
mich härter getroffen haben, als ich zunächst wahrhaben wollte.
Die Not macht jedoch auch erfinderisch. Der
alte Computer der Zweitbesten, der einst der Buchhaltung diente, ist zwar allein
auch nicht mehr internet-tauglich, aber bei ihm funktioniert das
„Word“-Programm wenigstens. Also sitze ich jetzt an dieser Kiste, um meine
Posts zu verfassen. Dann schiebe ich das geschriebene Dokument auf meinen
USB-Stick und warte, dass meine liebe Freundin und Nachbarin Petronella bei
ihrem Job an der Rezeption eines Grand Hotels entweder einen freien Tag oder
eine Schicht hat, die es mir erlaubt, über ihren Computer an meinen Blog zu
kommen.
Das hat noch zwei Vorteile: Ich lerne dabei
die adäquaten Befehle auf der italienischen Tastatur und bekomme dazu einen
ihrer herausragenden Espressi serviert.
Meine Leser haben allerdings bis zum Ende der
Saison hier den Nachteil, dass sie die Posts jetzt immer in Portionen bekommen, und ich in der Statistik so nicht
erkennen kann, wie der einzelne jeweils angekommen ist. Ich habe mich nämlich
entschlossen, den alten Burg-Computer nicht mehr zu reparieren, sondern
stattdessen einen neuen Zwilling des Glashaus-Computers für die Burg anfertigen
zu lassen...
Von wegen Entzug! Von wegen mit der Hand
schreiben! Ich doch nicht!
Keinen Bock?
Wer erleben darf, wie sich ein Konzept seines
Lebens realisiert, der sollte daraus zweierlei lernen:
Erstens, dass so viel Glück zu haben, ein
Privileg ist und zweitens, dass das eigene, erfolgreiche Konzept für andere
auch zur Belastung werden kann.
Durch meinen Schwager hatten die Zweitbeste
und ich in den 1970ern den höchstmöglichen Einstieg in die Italienische
Gesellschaft. Mit den Brüdern Paolo und Michele, Söhne eines Stahlmagnaten, der
auch als Vater ein Despot war, machten wir Party, fuhren gemeinsam in den
Urlaub und teilten - so gut es ging - Freud und Leid. Dann wurde geheiratet,
und es kamen die Kinder, derenthalben man sich eine wenig aus den Augen verlor.
Anlässlich einer Reportage über ihre
Heimatstadt sahen wir uns dann wieder. Es waren die 1980er und die Zeit
terroristischer Entführungen. Beide fuhren nun in gepanzerten Limousinen und
hatten eine entsicherte Automatik unterm Sitz. Einfach in eine Bar gehen, ging
nicht mehr. Da mussten schon die Pantere Grigi (Italiens GSG9) in der Nähe sein.
Paolo hatte sich schon immer die Frage
gestellt, wieso einer, dessen Vater einen Stahl-Konzern besitzt, deshalb in
seine Fußstapfen treten müsse. Michele ging es nicht anders. Dabei waren Paolo,
der Ältere, der die Technologie leitete und Michele, der die kaufmännische
Seite regelte, wider Willen auch noch erfolgreich.
Alt wurden beide nicht. Kaum war der immer
trauriger werdende Paolo in seinen Vierzigern angelangt, raffte ihn
Kehlkopfkrebs dahin, und der scheinbar immer heitere Michele jagte sich eine
Kugel durch den Kopf. Das Konzept des Vaters war nicht aufgegangen.
Es muss an der Hitze gelegen haben, dass mir
das gestern justament durch den Kopf schoss (?!), als eine sechsköpfige Familie
ihre Utensilien für einen langen Urlaub auf der Burg über die Piazza zu ihrem
wunderschönen, angemieteten Ferienhaus schleppte. Nach der zweiten Runde
verkündete der Älteste – so um die zwölf:
„Ich habe keinen Bock auf das hier.“
Sein Vater reagierte erstaunlich entspannt –
jedenfalls gemessen an meinen Reaktionen in solchen Situationen damals:
„Dann setzt du Dich jetzt hier an den Brunnen
und schaust dich um. Das ist doch alles ganz spannend hier!“
Der Knabe ließ sowohl durch Körpersprache als
auch durchs Minenspiel erkennen, wie ätzend er die alten Gemäuer fand. Ist
vielleicht auch schwierig, fantasiebegabt zu sein, wenn man beim Dungeons-and-Dragons
am Computer ganz andere Burg-Spannung gewohnt ist. – Wir werden sehen, ob das
Ferien-Konzept des Vaters am Ende aufgegangen ist...
Mein Sohn war im gleichen Alter, meine Tochter
bereits frühreife 14 als wir vor genau zwanzig Jahren in Bellissimi
oberhalb von Dolcedo – zwei Täler weiter westlich unsere Liebe zu
Ligurien entdeckt hatten. Obwohl Bellissimi nicht annähernd so
romantisch war wie unser Borgo, waren beide von Anfang an Feuer und
Flamme für diese Wehrdörfer. Diese Begeisterung unserer Kinder war auch die
Triebfeder als wir sieben Jahre später das Haus hier an der Piazza gekauft
haben und dann einrichten mussten. Was haben die Kids geschleppt und sogar den
Möbelwagen von Deutschland hin und her gefahren. Seither ist es für sie immer
ein Fest, wenn sie es schaffen, auf die Burg zu kommen. Aber nun – im richtigen
Leben angekommen – hindert sie die sehr eng gewordene Berufswelt, das
auszuleben, und Enkel wird es vermutlich auch nicht mehr geben...
So ist das mit Konzepten. Man muss den
Augenblick leben und dankbar sein. Wenn der Boanl kommt (Kurzform für
Boandlkramer – so heißt der Tod auf Bayrisch), dann bleibt eh nur diese letzte
Erkenntnis von allen Konzepten: Omni mecum porto – alles Meinige trage ich bei
mir. Der Boanl lässt nämlich „keinen Bock“ nicht gelten!
Das Fehlen der Burg-Baumeister
Jetzt sind auch Paula und Paul wieder da. Sie
haben gerade noch in der Heimat Goldene Hochzeit gefeiert. Seit 1979 sind sie
auf der Burg, und da gibt es natürlich zum Wiedersehenswein auch immer viel
Nostalgie. Der Schwager von Paula, der den Borgo im damaligen Zustand
akkurat mit seinem Zeichenstift festgehalten hatte, war als Architekt auch
Impulsgeber für die Gestaltung der zentralen Gemäuer. Die beiden Ps haben
aufgrund seiner Arbeit eines der überraschendsten Häuser hier. Der Besucher
betritt es durch eine unscheinbare Eingangstür und einen Flur, der unter dem
Vorderhaus hindurch führt. Dann öffnet sich auf verschiedenen Ebenen ein
prachtvolles Stück Innenarchitektur, das Garten und Talblick genial mit einbezieht.
Die jüngeren, erst später zugezogenen
italienischen Nachbarn mögen zwar über den schwindenden Anteil der Deutschen
spaßeshalber frohlocken, aber irgendwie merkt man bereits jetzt das Fehlen
jener allesamt verstorbenen Burg-Baumeister aus dem Norden. Zu denen gehörten
ja auch die Legenden Don Rolando und Don Bertholdo..
Nicht, dass die Eigentümer der Häuser an der
Gesamtheit nicht interessiert wären, aber in Zeiten der Krise ist sich
vorausschauend zunächst einmal jeder bei der Werterhaltung der eigenen Gemäuer der
Nächste. Denn es ist klar, dass es am Meer unten eng und teuer wird – vor allem
für Familien. So gibt es im Moment zwar noch jede Menge restaurierten
Leerstand, aber bei Quadratmeter-Preisen von bis zu 7000 Euro in Imperia
ist „Schöner Wohnen“ hier oben die Alternative.
Aber bis dahin wird Engagement für die
Gesamtheit des Borgos gefragt sein. Mit Roland und Berthold , die ja
auch im deutschen Baubüro ein Team waren, konnten sich alle verlassen, dass der
Kommune bescheid gestoßen wurde, wenn etwas hakte. Vor allem Don Rolando
hatte ja durch seine Gemeinde-Arbeit die direkten Drähte, und Berthold machte
jeden Morgen seine generelle Inspektionsrunde und legte bei Schäden schon mal
spontan selbst Hand an.
Das fehlt jetzt, da die Verwaltung wohl sparen muss. Signora Giardini ist
ja als Gemeinde-Gärtnerin auch noch für die anderen drei Dörfer zuständig, und
die Hilfskraft wurde ihr offenbar gestrichen. Der Weihnachtsstern über der
Piazza hing jedenfalls noch bis vor 14 Tagen. Jeden Tag lösen sich weitere Kacheln
aus der Bepflasterung der unteren Gasse. Dabei ist das kaum einzusehen, weil
der obere Teil nach dem gleichen System belegt trotz seiner Steilheit picobello
aussieht. Ob das mit dem Drainage-Problem zusammenhängt? Seit der Bach oberhalb
des Dorfes wegen eines privaten Bauvorhabens verschwunden ist, klagen
Hausbesitzer unterhalb des Felsgrates über Einsickerungen.
Frisch gewählt konnte sich die modelmäßig
auftretende Bürgermeisterinnen-Beauty
gar nicht oft genug hier oben blicken lassen. Jetzt macht sie sich genauso rar,
wie ihr mit viel Start-Elan angekündigtes Kultur-Programm.
Zumindest in dieser Beziehung könnten ja das
Professoren-Paar und ich unseren Beitrag leisten. Handwerklich habe ich ja eher
zwei linke Hände, die nur aus Daumen bestehen...
Dienstag, 9. Juli 2013
Der Grillmeister
Die Zweitbeste und ich exponieren unsere aus
der Form geratenen Körper ja nicht mehr allzu gern am Strand. Und wenn, dann
warten wir bis Ende September die ganzen jungen und schönen Menschen
verschwunden und die Strände vereinzelt mit unseresgleichen belegt sind. Was
uns dennoch jetzt an einem Samstag nach Santo Stefano zieht, hat mehr etwas mit
Nostalgie zu tun.
In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hat
sich in dem Küstenort, der nahezu übergangslos mit Riva Ligure verwachsen ist,
eine Menge getan – abgesehen davon, dass der Rad-Fernwanderweg auch hier vorbei
führt. Aus der zerklüfteten, felsigen Ufer-Anlage ist nach und nach durch
Verbauungen ein Strandparadies mit Flachwasser-Zonen für die Kleinen und
Sandstränden mit Sperrmolen geworden. So sehr sich der Ort auch verändert haben
mag, das Publikum ist gleich geblieben. Wenn wir in unserem dortigen
Lieblingsrestaurant sitzen, das eine über den Strand gebaute Terrasse hat,
tauchen wir ein in eine Atmosphäre, mit der uns die Dolce-Vita-Filme in
den 1950ern süchtig nach Italien gemacht haben:
Ein vorbei fahrender Obst-Lastwagen preist
über einen alles übertönenden Lautsprecher an, dass er Pfirsiche, Erdbeeren und
Melonen in Steigen für nur fünf Euro an die Strandbrutzler verhökert. Gerade
erblühende Mädchen schlecken auf der Promenade mit dem Hintern wackelnd an
riesigen Eistüten und unüberschaubare Familien-Verbände schwappen mit
Gummi-Srandgetier, Schlauchbooten und sonstigen Utensilien wie die Gezeiten zur
Mittagszeit hinauf in die Quartiere und dann nach der reposa wieder
runter.
Ein Restaurant in dieser Lage muss ein
Bomben-Geschäft sein. Dennoch hat wieder einmal der Besitzer gewechselt. Jetzt
wird es vom Italienischen Pizza-Meister 2011 geführt, der auch Fixpreis-Menüs
rund um seine Ofen-Kreationen anbietet. Die Befürchtung, dass darunter die
Qualität gelitten haben könnte, war
jedoch unbegründet. Der Pizzamann und sein Grillmeister verstehen ihr Handwerk,
und das zu Preisen (in der Hochsaison!), die wegen der Riesenportionen mehr als
reell sind...
Aber – wie schon angedeutet – wegen des Essens
fahren wir ja nicht dahin. Mir geht es in erster Linie um das Einfangen von
seltenen Exemplaren für den Menschen-Zoo in meinem Gehirn. Und da war ich
diesmal überaus erfolgreich. Weil der Grillmeister des Restaurants jedes Stück
auf meiner überbordenden Grillplatte (Lammschulter, Angus-Tagliata, Wachtel und
Stubenküken) auf den Punkt genau von der glühenden Holzkohle genommen hatte,
habe ich das erspähte Exemplar nach ihm benannt – zumal das Verhalten meiner
Entdeckung ja auch irgendwie mit dem Grillen zu tun hatte.
Vielleicht erinnert sich der eine oder andere
ältere Leser ja noch an Federico Fellinis Meisterwerk I Vitelloni. Den Jüngeren sei es empfohlen, weil
cinematografisch niemals farbiger in schwarzweiß erzählt wurde. Als Vitelloni
werden jene in die Jahre gekommenen, unverheirateten Männer bezeichnet, die
das Hotel Mama partout nicht verlassen wollen, - und die dann irgendwie komisch
werden.
Genau so ein Exemplar stand unmittelbar unter uns auf seinem Handtuch und
reichte seinen Körper ohne Schattenpause der prallen Sonne dar: Sein käseweißer
Körper (offenbar mit der höchsten Sunblocker-Stufe eingecremt, denn in
geschlagenen drei Stunden hatte sich an seinem Teint nichts geändert) war mit
einer derart schlabberigen, weißen Unterhose bekleidet, dass man ein wenig
Angst bekam, bei den Übungen könnte der Familien-Schmuck versehentlich mal
herausrutschen. Auf dem Kopf hatte er quasi als Krönung ein an den Enden
vierfach verknotetes Taschentuch – und
das in den Zeiten von Baseball-Kappen und Rapperhüten!
Jedenfalls ging der Mann beim Sonnenbaden so
gründlich vor, dass man ihn sich in der Alltagsbeschäftigung als gewissenhaften
Buchhalter vorstellen konnte: Nach einem genauen Zeitplan drehte und wendete
sich der Mann senkrecht um die Achse zur Sonne hin. Dabei exakt auf den Wechsel
zwischen Stand- und Spielbein achtend, gab er quasi die Karikatur einer
römischen Marmor-Statue. Nach sechs Umdrehungen legte er sich jeweils mit
gespreizten Oberschenkeln aufs Handtuch, und nicht nur die Zweitbeste war dann
froh, dass die Sonne dabei auf der anderen Seite stand...
Wir wissen nicht, wie die Prozedur letztlich
für die Vitelloni-Haut ausgegangen ist, und ob Mama am Abend ihrem
Liebling feingeschnittene Scheiben von grünen Tomaten zur Linderung hat
auflegen müssen. In unserer Erinnerung bleibt er jedoch ewig weiß - als der
Grillmeister.
Verhaltensforschung
Leute, die die Welt noch bereist haben, ehe
der chemische Generalangriff auf alle Insekten (einschließlich der lieben
Bienchen) gestartet wurde, waren häufig überzeugt davon, dass die Küchenschabe
dereinst die Weltherrschaft antreten würde. La Cucaraca, the Cocrache - oder
wie sie sonst noch besungen wurde, war weltweit vernetzt und den jeweiligen
Umweltbedingungen sogar größenmäßig angepasst.
Auf einer Tropeninsel war ich mal dem Überfall
Hunderter malaiischer Riesen-Schaben ausgesetzt, die offenbar nur spielen
wollten. Allerdings verstand ich gar keinen Spaß und richtete mit meinen
Sandalen ein Gemetzel unter ihnen an. Kritschelkrutschel die ganze Nacht. An
Schlaf war da nicht zu denken. Im Morgengrauen waren alle Leichen verschwunden.
Verspeist von ihren Artgenossen. Nur ein paar der überdimensionierten
Flügeldeckel lagen ordentlich
aufgeschichtet im Bad...
Meine generelle Einstellung zu Schaben hat
sich zwar seither nicht wesentlich geändert, aber ihre Weltherrschaft fürchte
ich nicht mehr, seit ich die Ameisen hier auf der Burg beobachte.
Erinnert sich noch jemand, dass die Chinesen
unter Mao wegen ihrer blauen Einheitsanzüge vom Westen damals politisch
unkorrekt die „Blauen Ameisen“ genannt wurden? Heute, assimiliert vom Turbo-Kapitalismus,
sind sie so mannigfaltig modisch gestylt unterwegs, dass sie bald auch in
dieser Disziplin tonangebend sein werden. Das bringt mich zu der Überzeugung,
dass die Ameise in ihren vielen Erscheinungsformen als Vorbereitung auf die
Weltherrschaft die Chinesen nur als Probanden benutzt hat...
Die Frage, die sich mir alle Jahre wieder um
diese Zeit hier auf der Burg stellt: Können wir im Umkehrschluss nicht von den
Ameisen lernen, um ihrem Herrschaftsanspruch zu begegnen?
Hier ein paar Denkanstöße:
In erster Linie gibt es hier im Gemäuer drei
Typen von Ameisen. Winzig kleine Rote, mittelgroße Braune und große Schwarze.
Die Roten sind straff in Brigaden organisiert.
Sie meiden öffentliche Straßen sind aber bei Bedarf so viele, dass sie Schulter
auf Schulter stehend innen in der Dachrinne die gut 14 Meter Höhe zu unserer
Terrasse überwinden. Einmal hatte ich den Rest einer Packung Krokant-Kekse dort
oben in unserem sich anschließenden Wohnzimmer liegen lassen. Am nächsten
Morgen sah ich, wie die kleinen Roten die Kekse Krümel um Krümel in die Gasse
hinunter trugen. Natürlich sorgte ich mit fürchterlich stinkendem Ameisengift
für einen Massenmord. Aber als ich wenig später die Leichen wegfegen wollte,
waren sie allesamt verschwunden; von den wenigen Überlebenden eingesammelt und
abtransportiert. Vielleicht sollte unser Umweltminister die roten Ameisen mit
der Suche und anschließenden Bestückung des Endlagers für den anstehenden
Atommüll betrauen.
Die mittelgroßen Braunen sind sture
Befehlsempfänger, die ihre jeweilige Aufgabe erfüllen – gleichgültig wie
sinnvoll sie ist. Unsere Piazza ist im ligurischen Stil mit einzementierten
Kieseln bestückt, die anschließend mit Mustern eingefärbt werden. Die braunen
Späher kommen gar nicht auf die Idee über diese Steine zu klettern, obwohl sie
es könnten. Stattdessen laufen sie durch das Zement-Labyrinth und nehmen weite
Umwege in Kauf, um beispielsweise in Ost-West-Richtung ihre Route abzuchecken.
Genauso ist ihr Straßenbau zu Nahrungsquellen. Nach dem Motto eine wird schon
durchkommen, krabbeln sie auch gut sichtbar für alle Feinde die Wände hoch. Bei
diesen braunen Heerscharen fragt man sich – wie blöd sind die denn noch?
Offenbar lernen sie nicht dazu.
Die großen Schwarzen sind zwar nicht
wesentlich schlauer, aber lässiger. Sie klettern schon mal auf so einen
Piazza-Kiesel und verschaffen sich dort einen Überblick, den sie begegnenden
Artgenossen aufs Hinterteil trommelnd weitergeben. Sie nehmen auch gerne Ideen
ihrer kleineren Artgenossen auf, die nach langer, emsiger Suche dann zuschauen
müssen wie das Stückchen herunter gefallene Salami oder der Brocken Obst von
den Großen weg gemopst wird...
Il Signore
Nicht nur weil sich unsere Häuser hoch über
dem Talkessel an diesen steilen Felsgrad
klammern, scheint die höhere Warte für die Betrachtungsweise der
Burggeister so passend.
Ein Borgo, der gerade mal zwei
Fußballfelder groß ist und über drei Kirchen oder Kapellen (eigentlich vier)
verfügt, muss manifestiert im Glauben sein.
Vergangenen Donnerstag also hatten wir
Burg-Bewohner auf der unteren Piazza
mal wieder eines unserer spontanen Dorffeste. Wenn die Zweitbeste und unsere
Freundin Petronella in Partylaune sind, gibt es eben kein Halten. Es sind ja
neue, permanente Residenten hinzu gezogen, und die sollten sich eben auch mal
kennen lernen. Der Jubel war umso größer, weil erstmalig in all den Jahren die
Italiener bei so einer Zusammenkunft in einer Überzahl drei zu eins waren, was
zusätzlich gefeiert wurde wie der Halbfinal-Sieg der Squadra über
Merkel-Deutschland bei der vergangenen Fußball-Europameisterschaft.
Natürlich bogen sich wieder die Tische unter
selbst gemachten Spezialitäten, selber ausgebauten Bio-Weinen in Rot und Weiß
sowie Prosecco bis zum Abwinken. Auch ich hatte Grund, ein wenig stolz
zu sein, denn meine spaghetti con pesto speciale erhielten durchweg ein
„Daumen hoch“. La notte magica dauerte von sechs bis Mitternacht. Die eigentliche
Sensation war jedoch, dass unsere Seelensammlerin Electra bis zum
Schluss durchhielt. Normaler Weise nippt sie nur schüchtern an einem Gläschen
und ist gleich wieder verschwunden. Diesmal trotzte sie der babylonischen
Sprachverwirrung und stimmte zu später Stunde sogar mit Ada ligurische
Volkslieder an. Was war nur in sie gefahren?
Die Antwort kam kurz bevor sich die
Gesellschaft auflöste: Seit einigen Wochen ist die mittelalterliche Santa Anna
an der oberen Piazza voll eingerüstet, damit ihre maroden Mauern
stilecht wieder aufgerüstet werden. Wenn sie restauriert ist, wird das Ensemble
oben wohl einer der schönsten Dorfplätze von Ligurien sein: weitläufig umstellt
von Einzelhäusern nach Osten und von einer bunten Häuserreihe nach Westen; –
eben wenn!
Denn natürlich fehlt es wieder an Geld. Also
steht Electra auf, bekreuzigt sich und bekennt, dass für das Dach der
Kirche noch Geld benötigt werde. Und wo wir doch alle gerade so nett
beieinander säßen, wäre es doch angebracht, dass alle ihren Teil dazu beitrügen
Savonarola hätte
seine Freude an ihr gehabt. Großartig, wie sie es geschafft hat, mit ihrer
inquisitorischen Stimme die Runde im Alter von 16 bis 80 in Ehrfurcht erstarren zu
lassen.
Die Spenden sind ihr also sicher, weil sie es
auch mit Geschick und deutlichem Fingerzeig immer wieder schafft, il Signore
mit einzubeziehen.
Diese Geste, mit dem Zeigefinger in den Himmel
zu zeigen, um von I h m zu reden, haben sich mittlerweile auch alle
anderen, älteren Dorfbewohner bei ihr abgeschaut. Neulich kam der bald
80jährige Falco mit seinem Hund an der Leine und einem Skistock in der
Hand von einer ausgedehnten und steilen Runde oberhalb des Dorfes über die
Piazza zurück:
„Mann, Du siehst aber fit aus“, sage ich.
Er: „Ach weißt du Obelix? Jetzt brauche ich
schon einen Stock, weil mein Gleichgewichtssinn nicht mehr so gut ist. Ach und
die Knie tun mir weh. Und schau, wie dick mein Hund geworden ist, weil ich nur
noch eine Stunde mit ihm unterwegs bin. Ich denke (kurzer Fingerzeig zum
Himmel), il signore hat bereits ein Auge auf mich geworfen...“
Ja, auch das Jammern findet hier beinahe auf
Augenhöhe mit dem Allerhöchsten statt.
Vertraute Stimmen
Von den 18 Parteien im Münchner Glashaus kenne
ich fünf so, dass ich sie e r kenne,
aber kaum Ansatzpunkte für einen Small-Talk finde. Man hört und sieht
nichts voneinander. Selbst über den Metzger, den nordafrikanischen
Lebensmittelhändler und natürlich über meine Lieblingsfriseurmeisterin weiß ich
mehr als über meine unmittelbaren Nachbarn...
Hier auf der Burg sitze ich mit meinem Stuhl
im Schatten der Piazza und einer nach dem anderen kommt trotz meiner lausigen
Italienisch-Kenntnisse auf einen Plausch vorbei. Was ich in der Großstadt nicht
habe und eigentlich auch nicht vermisse, habe ich auf der Burg reichlich, und das gibt mir tatsächlich ein
heimeliges Gefühl. Es ist sogar so, dass ich morgens regelrecht süchtig danach
bin, die diversen Stimmen zu erkennen, wenn unser Dorf erwacht.
Das ist so zwischen sieben und acht, wenn wir
- medikamentös bedingt - meist noch anderthalb Stunden rumdösen.
Die zwei deutschen Paare zwischen 80 und 65,
die nur durch eine Gasse von uns getrennt meist schon früh auf ihren Balkonen
sind, tauschen schon mal von dort aus aus, was so ansteht. Das eine - aus
Franken - signalisiert durch die abgeschliffenen Vokale und Konsonanten in
ihrem Idiom ungestresste Gemütlichkeit, während Martina mit ihrem glockenhellen
Lachen bereits nach permanenter Unternehmungslust kling. Jochen, ihr Mann,
kommentiert spärlich mit seinem unverkennbaren Bass. Er ist der Ruhepol.
Egal welchen Alters die italienischen Nachbarn
sind, um diese Uhrzeit sprühen sie schon voller Temperament. Bei Giovanna
und Falco vom unteren Eingang zur Gasse stelle ich mir gerne vor, was
für ein prachtvolles Gesangsduo sie abgegeben hätten. Falco, der heuer
80 wird, hat einen Bariton mit kehligem Nachhall und seine um einiges jüngere Giovanna
spricht ihren Dialekt mit einer Altstimme, die aus einer Klangschale zu
kommen scheint.
Was mich zu der generellen Überlegung
verleitet, ob eine Ehe-Harmonie, die bis ins hohe Alter anhält, sich vielleicht
auch auf das Zusammenwirken der Stimmen auswirkt...
Bei Ludovico und Georgina, die
erst seit kurzem permanent zusammen leben, ist das nämlich noch nicht der Fall.
Dazu ist Ludovico derzeit viel zu gestresst. Seit Wochen dröhnt er mit harscher
Stimme - empfangsbedingt von der Piazza aus - in sein Handy, um seinen
Arbeitgeber zur Zahlung seiner ausstehenden Gehälter zu bewegen. Da bleibt wohl
kaum Stimme für Liebensgeflüster.
Signora Girasole, die wir neulich beim
nächtlichen Überfall ganz schrill gehört haben, ist inzwischen wieder bei ihrem
tiefen Timbre angelangt, mit dem die mehrfache Großmutter seit Jahren die
Männer der Umgebung ganz wuschig macht.
Signora Electra, die Seelensammlerin,
wird ihre Stentor-Lehrerinnenstimme – egal wie gebrechlich sie noch wird –
trotz aller Gottesfurcht und Sanftmut wohl bis zum letzten Atemzug behalten...
Wer meine Theorie von der Stimmen-Harmonie
altgedienter Ehepaare ins Schwanken bringt, sind ausgerechnet die Musikprofessoren auf den
Burgzinnen gegenüber: Er eher leise sotto voce, sie allegro vivace
und sehr dominant. – Aber das kenne ich ja von der Zweitbesten und mir:
Abgestimmt klingen wir ja wohl auch ganz anders.
Übrigens wenn wir die immer fröhliche Stimme
von Gabriella hören, kommt das schlechte Gewissen. Wenn ihr „Posta! Posta! Ciao Obelix! Oggi niente! A domani!“ in die Akustik der
leeren Piazza gerufen wird, wissen wir, dass wir mal wieder zu zu lange
im Bett gelegen haben. Unsere Postina lehrt nämlich den Briefkasten
zwischen 10 und 11 Uhr...
In eigener Sache
Mein Burg-Computer hatte einen Crash. Bis er repariert werden kann. darf ich protionsweise von Petronellas Computer posten. Es folgen also jetzt vier untr dem gleichen Datum
Abonnieren
Posts (Atom)