Freitag, 21. Juni 2024

Die streitbaren Janus-Köpfe

Um den heutigen Post ein wenig Hintergrund zu geben, bedarf es einer längeren Einleitung:
Kurz vor unserer Abreise, beim Durchstöbern unserer Bibliothek nach noch nicht Gelesenem, stieß die fürsorglichste aller meiner Ehefrauen auf eine Brieftasche zwischen den Büchern. Wie sie da hingekommen ist, weiß niemand, denn in ihr waren echte Manuskripte, also mit der Hand geschriebene Blätter aus meine Anfangszeit als Schreiberling. Ich habe mein Lebtag nichts von meinen Texten gesammelt, bis ich mit meinen Blogs anfing!.
Unter anderen fand ich da - muffig riechend - meine Streitschrift um Anerkennung als Kriegsdienst-Verweigerer. Die werde ich im kommenden Herbst aus dem Glashaus veröffentlichen, wenn die Wiedereinführung der Wehrpflicht dann immer noch Thema bleiben sollte.
Aber der heutige Post wurde durch meine über ein paar Kapitel entworfene Roman-Figur Janus befeuert. Janus wurde als Kind mit zwei Gesichtern geboren und so lange weg gesperrt, bis seine Haare lang genug waren, das jeweils nicht passende mit der Mähne zu verdecken. Der Gott der Tür, des Gestern und des Morgen, aber auch der Gott der bösen oder guten Stimmung hat mich immer schon aus der Mythologie am meisten fasziniert. Die ersten Kapitel waren eigentlich so übel nicht, weshalb ich nicht mehr weiß, weshalb ich nicht damals noch als Buchhändler-Lehrling weiter geschrieben habe...

Quelle: pixabay
Besser, nur die lächelnden Gesichter wahrnehmen!

Jetzt - beinahe sechzig Jahre später zufällig (?) - beschäftig mich das menschliche Wesen symbolisiert im Janus erneut. In meiner Abwesenheit sind hier bauliche Veränderungen rund um die Piazza vorgenommen worden, die mir Rätsel aufgeben, aber auch ein ungutes Licht auf die Vetternwirtschaft hier im Borgo wirft. Vor unserem zwangsweisen Verlassen im vergangenen Sommer waren zwei Lagerräume von einem Baustopp belegt, weil ihre Eigentümer sie wohl klammheimlich als Ferienwohnungen umwidmen wollten.
Jetzt sind sie dennoch mit wunderschönen Fenstern und Türen ausgestattet und warten wohl auf den Segen des Sindaco. Denn beide Eigentümer-Familien gehören schon immer zu seinem "Wahlvolk". Offenbar gibt es da auch im Italienischen Baurecht einen Passus, der bauliche Veränderungen sanktioniert, wenn man sie danach nur einfach eine weile ungenutzt so stehen lässt. Die Nachbarn, denen das eigentlich recht sein müsste, wenn unser Ort dadurch schöner wird, beobachten derartiges Vorsehen mit Argwohn und melden das - meistens aus Missgunst und weniger, weil sie das Recht gewahrt wissen wollen. Im Zweifel wird hin und her geklagt, und das kann dann dauern. Alte Freundschaften zerbrechen, und es wird in den Lagern nicht selten eine böse Gerüchte-Küche angeheizt.

Das erklärt vielleicht, wieso mir kürzlich jemand erzählt hat, dass unsere Gemeinde, die in Ligurien mit den meisten anhängigen Gerichtsverfahren sei. Sporgere denuncia - also Anzeige erstatten - ist ein wahrer Volkssport hier oben. Gleich im ersten Jahr hier sind wir selbst davon betroffen gewesen, weil wir die brüchige Trockenmauer über unserer Terrasse mit einer festen Säulen-Reihe "durchsichtig" gemacht haben. Der selbe "Anzeiger" hat dann 20 Jahre später versucht, uns für Wasserschäden hinter seiner verrotteten Fassade haftbar zu machen. Als ob Wasser eine Trockenmauer hochklettern könnte...

Wie in Deutschland so fehlen auch in Italien hunderte, wenn nicht tausende Richter, weshalb sich jeder gleich mehrmals überlegt, ob er klagen sollte. Selbst Ausländer, die hier gegen Ausländer klagen wollten, mussten bald einsehen, dass eine gütliche Einigung sich besser rechnet. Denn schurkische Anwälte, die familiäre Wurzeln hier haben, treten gerne mal auf die einträgliche Verzögerungsbremse, und stellen gerne - kostenpflichtig natürlich - Antrag um Antrag, bis sie vorschlagen, die jeweilige Sache doch besser auf sich beruhen zu lassen.

Wir halten uns daher schon lange aus jeglicher Parteilichkeit heraus. Weil wir wissen, dass liebe Nachbarn, die uns herzlich umarmen und abküssen oder mit Freude am Cena in Piazza teilnehmen, auch Händel haben, die wir nicht begreifen. Beispielsweise wenn ein Nachbar für Ausbesserungsarbeiten leichter über den Grundbesitz des anderen an seine Baustelle gelangen könnte, ihm das aber verwehrt wird, weil man wegen der Verbesserung neidisch ist.  Oder besser noch, lieber boshaft verfolgen möchte, wie er dann mit Schubkarren das Baumaterial mühsam durch die Gassen und über die Treppen transportieren muss.

Warum's jemandem leicht machen, wenn's doch auch
kompliziert geht. Die Tagelöhner aus Tunesien danken es den Janus-Köpfen...

Wie sind zu alt, um uns noch darüber zu ärgern oder zu wundern. Wir nehmen einfach nur noch die freundlich lächelnden Gesichter der streitbaren Janus-Köpfe hier wahr. Dennoch war ich bei meinem Status als Ausländer überrascht, wie sehr an meinem Unfall Anteil genommen wurde und wie sehr sich  die Nachbarschaft freut, dass ich doch wieder da bin


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