Castellinaria Kapitel 8
Während Bernhard und Traute
sich auf den Weg machten, ihr eher bescheidenes, bürgerliches Glück zu finden,
hatten es andere mit weniger Startschwierigkeiten nach dem Krieg längst
gemacht. Im deutschen Wirtschaftswunder hatten Altreiche sich schnell wieder
erholt und Neureiche noch schneller die Gunst der Stunde genutzt, um sich einen
sozialen Logenplatz zu sichern.
Wenn
die Firma oder die Praxis im Aufschwung florierte, die Villa am Stadtrand
gebaut war und die Kinder ihr Abitur gemacht hatten, widmeten sich die
Bundesbürger ihrer gesellschaftliche Position in Vereinen oder besser noch
Clubs. Dabei wurde Tennis zum Golf der Postmoderne. Jeder, der mit dem Schwung
seines Schlägers nur halbwegs um seinen wachsenden Wohlstandsbauch herumkam,
verbrachte seine Freizeit nun damit, die kleine Filzkugel mehr oder weniger
gekonnt über das Netz zu befördern. Wer in einem Club Mitglied war, gehörte zur
Elite, fühlte und verhielt sich auch so.
Jene, die keinen Konditionszuwachs durch
diese Betätigung erzielten, verlagerten den sportlichen Ehrgeiz dann eben auf
die Club-Terrasse, wo sie Kontakte knüpften und sich im Idealfall als Mäzene
profilierten. Der deutsche Tennisboom der Achtziger hatte seinen Ursprung im
Ehrgeiz dieser ersten Club-Funktionäre und ihrer Ehefrauen, die ihre
talentierteren Sprösslinge von Turnier zu Turnier kutschierten. Aber nur
wenigen gelang der tatsächliche sportliche Durchbruch und deshalb drehten sich
die Terrassengespräche dann nicht selten um zwischenmenschliche Kontakte. Wer
bei wem saß, wenn gefeiert oder bei Mitgliederversammlungen abgestimmt wurde,
bekam auf einmal eine andere Gewichtung; nicht nur in den rheinischen
Wirtschaftszentren, sondern auch in Schwaben und Bayern. Es bildeten sich
Gruppen, deren Tonangeber mehr oder weniger
direkt vorschrieben, mit wem man im Club sprach und mit welchen anderen
die eigenen Kinder Umgang pflegten.
Es
entstanden Cliquen.
Vom Klüngel zur Clique – das war für den
Lenz, dem Jahrmarktshändler menschlicher Eitelkeiten eine einfache Folgerung.
Diese Cliquen hatten ja meist Geld, und wenn das gesellschaftliche Ansehen der
Außenseiter in den Clubs einen Schubs
brauchte, war er zur Stelle. Dazu musste er nicht mal Mitglied sein. Er hatte
bundesweit genug Kontakte, um mal auf einen Drink oder zu einem exklusiven
Essen auf die Tennisclub-Terrassen der Republik eingeladen zu werden.
Vor allem bei Spielpausen und
Schlechtwetter-Frust, die den Sportbetrieb eindämmten, schlug seine Stunde,
wenn er durch Schilderung „seines Dorfes im Süden“ die ja im Deutschen latent vorhandenen Sehnsüchte
weckte. Jedenfalls waren seine ersten fünf Häuser in Castellinaria im Handumdrehen an Adepten solcher Cliquen verkauft.
Zu einem - aus deutscher Sicht – Spottpreis, die dem Lenz aber immer noch einen
satten Gewinn von mehreren hundert Prozent sicherten. Genug, um gleich noch ein
paar Häuser in Castellinaria zu
erwerben, denn von da an ergab sich ja quasi ein automatisches Marketing:
Der bis jetzt noch im Club trotz seiner
üppigen Spenden nicht so anerkannte Elektro-Großhändler spielt in der
Senioren-Rangliste Forderung gegen den die
Cliquen-Meinung beherrschenden Zahnarzt. Verliert zwar, aber kann beim
Seitenwechsel einen „Passierschlag“ landen, indem er von seinem gerade
erworbenen Haus auf einem ligurischen
Burgberg schwadroniert. Nach dem Spiel will
der Zahn-Doktor natürlich mehr wissen, hat er doch ein paar geschwärzte Märker
schon auf halben Weg in der Schweiz liegen.
So entsteht im achtsam vom Lenz gewahrten Spekulationsrhythmus im
auferstandenen Castellinaria eine merkwürdige Besiedlungsstruktur, die vielleicht
einmal in ein paar hundert Jahren von Völkerkundlern analysiert werden wird:
Am oberen Ortsrand siedelt sich vorwiegend
eine rheinische Clique an, während Schwäbische Tennisspieler rund um die Burg
ihre südliche Traum-Immobilie in Besitz nehmen. Aber die Zeit schreitet ja
voran, und Animositäten, die einmal da waren, bilden sich dann wieder heraus.
Vor allem dann wenn sich der Elektro-Großhändler bei einem Schleifen-Turnier in
die Zahnarzt-Gattin verknallt, sie ver- und - nach Verkauf seiner Firma - ins
romantische Castellinaria entführt.
Seine und ihre Kinder, die als Erben heranwachsen reden da alsbald nicht mehr miteinander, obwohl sie jedes Jahr
im gleichen Dorf alle ihre Ferien verbringen.
Oder der Autohändler aus Stuttgart erzählt
seinem Nachbarn in Bad Canstatt von dem Umstand, dass da wegen
Familien-Streitigkeiten bald ein Haus zum günstigen Verkauf steht und übersieht
wie bei dem die Markstücke in den Pupillen erscheinen. Es gibt ja nicht nur
einen Lenz auf der Welt. Zumal der ja mittlerweile auf die 80 zugeht und längst
eine Riesenvilla am noblen Capo Berta mit seien Gewinnen erworben hat.
Nun darf
aber der Leser nicht glauben, die Deutschen Hoffnungssuchenden hätten
nur zu kaufen brauchen und wären dann gleich ins Fertige gezogen. Fast alle
Objekte hielten nur der ersten,
euphorischen Besichtigung statt, ehe sie nach dem ersten längeren Aufenthalt
ihre Macken preisgaben. Daraus entwickelte sich – wie später noch zu lesen sein
wird – eine für den Hauptort unter der Burg ertragreiche Subwirtschaft in Form
diverser am Bau engagierter Kleinunternehmen. – Ganz wie im Mittelalter!
Und weil sich die Deutschen - ohne das
Vermutlich zu wissen - wie einst die
Patrizier von San Gimignano verhielten, kam es beim weiteren Ausbau zu manch
kuriosem, architektonischen Wettstreit, bei dem einer versuchte den anderen zu
übertreffen. Es entstanden neue Zinnen und Bergfriede, ehe die Gemeinde den
Auswüchsen einen Riegel in Form von dann doch erstaunlich strengem
Denkmalschutz vorschob.
Da nach oben Grenzen gesetzt wurden, ging es
teilweise in den Untergrund. Auf einmal wurden aus ebenerdigen Kellergewölben
Appartements und Cantine wechselten
mehr oder weniger ohne das Katasteramt die Besitzer, was in der Gegenwart
gerade zu bösem Erwachen bei der Nachbesteuerung und der Überprüfung der
Kataster-Einträge führt.
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