Zugegeben, es gibt Tage,
da fühle ich mich Il Signore so nahe, wie sich das für einen
Agnostiker einfach nicht gehört. Da sitze ich auf der sehr hohen Eingangsstufe
vom wieder in Rom malochenden Nachbarn Giancarlo in der Südost-Ecke des Burghofes
und schaue in dieser einzigartigen Perspektive auf das Spektakel am Himmel.
Unten die Piazza, der Burg-Brunnen, die von runden Bogen begrenzten Ausgänge; in
der Mitte die nordwestlichen
Nachbarhäuser mit ihren dekorativen Abstufungen und darüber die Wolken über den
Seealpen, die in dicken Wattebauschen gegen den mit ausgefransten Federwolken
heranstürmenden Mezzogiorno
bestehen wollen.
Ich zeige dann mit dem Einlass begehrenden Zeigefinger, der
den Burg-Geistern zu eigen ist, zum Himmel und sage zu der Zweitbesten, die im
Schatten einen Krimi von Veit Heinichen liest:
„Schau mal der Mezzogiorno frisst gerade die Cumuli, äh ich
meine die Haufen-Wolken.“
„Die in Triest nennen
diesen Wind übrigens die Bora!“, antwortet sie und ist schon wieder weg.
Ja, hurra, die Zweitbeste liest wieder! Seit die Nächte kühl
sind, und einen mit herrlichem Tiefschlaf belohnen, verschlingt sie Bücher, als
gäbe es sie morgen nicht mehr. Ich bin dann zwar weitestgehend abgemeldet, aber
das ist mir egal, weil ich bei ihrem Anblick so herrlich in Erinnerungen
schwelgen kann.
Das Abtauchen in Gedrucktem, das war in einer weit zurück
liegenden Vergangenheit für mich immer das Zeichen, dass es ihr, der ehemaligen
Buchhändlerin, gut geht. Da konnten Dutzende von Kindern um sie herumtoben,
sich gegenseitig die Haare ausreißen, Erwachsene sie zwecks endlich
erforderlichen Eingreifens ansprechen – durch nichts in der Welt, wäre sie in
diesen Momenten der Welt ihres Lesestoffs entrückt.
Oft habe ich sie regelrecht rütteln müssen, um sie ins Hier
und Jetzt zurück zu holen. Vielleicht sind unsere Kinder deshalb so
unerschütterlich kreative Traumtänzer geworden. Sie mussten ihre
Konflikt-Lösungen in der Lese-Agonie ihrer Mutter selbst finden. Das ist ihnen
jedenfalls nicht schlecht gelungen, und die Zweitbeste ist stets recht stolz
auf ihre „erzieherischen Fähigkeiten“ gewesen.
Aber in der Erinnerung taucht auch ein Schwur auf:
Es war im ersten Winter, nachdem wir das „Haus“ hier gekauft
hatten. Die Ruine war eine Baustelle, und ich ganz alleine, weil die
Bauarbeiter nicht erschienen waren. Auf der unfertigen Terrasse lagen Schutt-
und Sandhaufen und dann kam der Tramontana und brachte in
D-Zug-Geschwindigkeit aus Nordwest Regen in der Dichte einer Auto-Waschstraße
heran. Die verstopfte Terrasse wurde zum Pool und ergoss sich nach und
nach in die darunter liegenden Zimmer.
24 Stunden schöpfte ich ohne Pause das ins Haus eindringende Wasser und
schüttete die Eimer in die alte Badewanne. Dann ließ der Wind nach, und ich
fiel in einen erschöpften Schlaf.
Als ich erwachte, fingerte die Sonne gerade an einem
glasklaren Azur-Himmel über die östlichen Berge. Der Ort Lucinasco (der
Lichtgeborene) auf der anderen Talseite funkelte im ersten Licht, und Olivastri
tief unter uns sah aus wie das grüne Relief eines Landart-Künstlers.
„Sollte ich jemals Zweifel an der Großartigkeit Deiner
Schöpfung haben, darfst Du mich zu Recht mit einem Blitz aus heiterem Himmel
erschlagen.“
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