Lucido Autunno, der Dorfmaler, ist wieder im Borgo.
Er kommt ja jedes Jahr, wie es ihm gefällt. Schließlich ist er ja auch ein
angesagter Meister von wirklichem
Einfluss. Im vergangenen Jahr hatten wir seinen Einzug verpasst, aber dann
drei Monate bis Weihnachten hier
oben das beinahe exklusive Vergnügen
gehabt, seine Meisterwerke zu betrachten. Es war faszinierend, wie er an den
Perspektiven arbeitete, den Vordergrund in den Schatten legte, während er bei
dem weiten Blick auf die blau gefärbten Berge den großen Bellini mühelos in
denselben stellte. Aber nicht nur eben dieser Meister der endlosen Tiefe,
sondern auch die Größen des Pointilismus,
des Neo-Realismus und selbst die bedeutendsten Fresken-Maler aller Zeiten hätten
sich – um das täglich geschaffene Oeuvre dieses Meisters annähernd zu erreichen
- ihre Pinsel haarlos gemalt.
Eigentlich wollten wir ihn mit den Nachbarn heute auf der
Piazza mit Tramezzini, Schälnüssen und rotem Wein willkommen heißen,
aber er gab sich mal wieder unberechenbar. Entschuldigte sich, mit regnerischer
Wolkenmalerei beschäftigt zu sein, wofür er eben Regen und Wind bräuchte - und
keine euphorisierten Nachbarn in Feierlaune...
Als sich aber alle Burggeister anderen Dingen zugewandt
hatten, kam er dann mit seinen Farben doch noch die Gasse hoch und sorgte auf
der Piazza für eine einzigartige Kunst-Installation, die leider nur ich allein zu
sehen bekam: Ich hockte in dem Doppel-Torbogen, unter dem die Stufen zur
Hauptgasse hinunter führen. Also war ich für ihn nicht sofort zu sehen.
Vermutlich hat er deshalb auf seiner Palette
mit den changierenden Farben ein wenig sorgloser experimentiert.
Eindeutig hatte er den Pinsel mit der Goldbronze zu flach angesetzt. Denn würde
er das immer so machen, hätten habgierige
Besucher längst Stein um Stein aus unserer Piazza gebrochen.
Nur bei diesem Licht nämlich wird der heimliche Schatz des Borgos sichtbar. Die Grafen
Gandolfo haben vermutlich einst die Piazza mit Moosachaten bepflastert,
um eine stille Reserve jederzeit zur Verfügung zu haben. Jetzt bestrahlt der
Meister sie so, dass man das erkennen
kann. Die abgelaufenen, schwarz kaschierten Kiesel-Knöpfe, die normalerweise zu
sehen sind, werden nur so zu den türkis-bräunlichgrünliche
gemaserten Halb-Edelsteinen, die so unnachahmlich leuchten.
Ich kenne mich aus, denn der erste Ring, den ich der
Zweitbesten von meinem kärglichen Lehrlingsgehalt zum Geburtstag gekauft habe,
war ein in schlichtem Silber gefasster Moosachat. Da hatte sie sogar ein paar
Tränchen in den Augen, und trug ihn auch ein paar Jahre. Später hat sie dann
Gold mit richtigen Edelsteinen den Vorzug gegeben. – Auch ihre Romantik ist
dabei ein wenig flöten gegangen, denn gerade schreit sie über die Piazza:
„Jetzt hör doch endlich auf
rumzuträumen und lass endlich diese Herbst-Larmoyanz! Hast du vergessen,
dass du heute mit Kochen dran bist?“
Na dann – willkommen wieder in der Wirklichkeit liebe Leser: Es gibt heute
Faraona al Forno (Perlhuhn in der Raine) mit Basmati-Reis und Ingwer-Paprikagemüse
an Limonen-Soja-Sauce mit grünem
Koriander. Blöd, dass Liebe tatsächlich doch mehr durch den Magen zu gehen
scheint...
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