Dienstag, 13. Mai 2014

Der Handkuss

Einem kontaktscheuen und bezüglich sozialen Emotionen abgestumpften Halbjahres-Großstädter wie mir passiert hier auf der Burg mitunter Denkwürdiges: 

Seit gut einem Jahrzehnt kommt hier bis zu zweimal im Monat ein fliegender Händler herauf. Er trägt stets ein großes Tableau mit seinen Exponaten bei sich sowie eine geräumige Umhänge-Tasche mit reichlich Ergänzungsstücken. Offenbar lohnt sich die Mühe.

Er ist ein sehr höflicher Mann mit der Aura des Respektes (un uomo di rispetto), der nur einmal kurz klingelt und noch nie aufdringlich wurde. Ich habe ihm dennoch nie etwas abgekauft. Meist sage ich höflich aber bestimmt von einem Fenster im ersten oder zweiten Stock aus, dass ich nichts brauche. Noch nie habe ich mich zu ihm hinunter bemüht.

Die "Zweitbeste" jedoch kauft ihm beinahe jedesmal etwas ab. Sie kann nicht anders. Das liegt in den Genen. Schon ihr Großvater konnte an keinem Marktschreier vorbei, um für den Haushalt nicht irgend ein nützliches Utensil zu erwerben. Auch heute sind davon hier auf der Burg noch Schäler, Gemüse-Hobel, oder Patent-Korken für geöffnete und nicht ausgetrunkene Flaschen in Gebrauch. Er habe - wie ihm nachgesagt wird - sie aber stets nur deshalb gekauft , weil er so gerne dem Schwadronieren und den darin verborgenen Verkaufsargumenten zuhörte.

"Unser" fliegender Händler mag sich ähnlich eloquent für seine Produkte einsetzen, nur hemmt ihn uns gegenüber die Sprachbarriere. Er, der vermutlich  von jenseits des Mittelmeeres stammt, spricht wesentlich besser Italienisch als wir, die wir obendrein noch mit seinem rauen Akzent zu kämpfen haben. Sein freundlicher Charme spräche allerdings allein schon für ihn.

Gestern passierte dann etwas, das mich Sprach- und Fassungslos zurück lies. Wir saßen, um dem Maler- und Bauarbeiter-Chaos in unserem Haus zu entgehen auf unserer Steinbank an der Piazza, als er seit langem mal wieder den Kontakt in Augenhöhe mit mir nutzend direkt auf mich zukam, meine Hand ergriff und die mit einer tiefen Verbeugung küsste, ehe ich sie irritiert zurück ziehen konnte. Genau so schnell war er wieder in einer der Gassen verschwunden.

Irgendwie erinnerte mich das an die Szene in dem ersten Teil von "Der Pate", der da un'offerta che non potete rifiutare unterbreitete - ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Ich blickte meine Frau an und suchte nach einer Erklärung. Der Mann neigt ja weder zur Unterwürfigkeit, noch bin ich hier oben eine Art Don.

"Das war seine Art, dem Herrn des Hauses seine Dankbarkeit und Sympathie zu bezeugen, obwohl du ja eigentlich ihm herzlich danken solltest."

Was war zuvor geschehen?. Die "Zweitbeste" hatte ihre seit Jahren gefestigte Geschäftsbeziehung einfach mal umgedreht und dem fliegenden Händler ihrerseits etwas angeboten: Nämlich den noch tadellos funktionierenden wenn auch 15 Jahre alten kleinen Farb-Fernseher aus ihrem Zimmer samt einem Sack voll kaum getragener Edel-Klamotten, aus denen sie "heraus gewachsen" war. Beides hätten die Bau-Arbeiter nur unter Murren zusammen mit dem verschimmelten Schlaf-Divan abends entsorgen sollen.

Der ambulante Kaufmann sah darin hingegen das Geschäft seines Lebens und zitierte sogar noch seine Tochter samt macchina (er ist ja hier stets bescheiden mit dem Bus und zu Fuß von Ort zu Ort unterwegs) für den Abtransport vom Tal herauf. Den Fernseher sollten seine Kinder bekommen, und seine Frau sei ja genauso klein wie meine.

Als er das dritte Mal zum Bedanken vorbei kam, fragte ich ihn - nur um meiner sozialen Irritation Herr zu werden, ob er denn auch daran interessiert sei, wenn ich beim nächsten Mal ein paar Sachen von mir aussortierte. Es sei ihm eine Ehre, gab er zu verstehen...

Meine dumme Burgschreiber-Phantasie gebar natürlich sofort wieder die Vorstellung von einem Wüstensohn, der bald mein viel zu eng gewordenes Tweed Sakko gegen die nächtliche Kälte als Mantel überstreift und den riesen Regenmantel, den ich hier noch nie anhatte, zum Zelt umfunktioniert...

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