Der Baby-Fetisch
Als sie sich zum ersten Mal zufällig auf dem Redaktionsflur persönlich trafen, waren
sie zunächst einige Schritte aneinander vorbei gegangen, weil jeder von seinem
Telefonpartner eine andere Vorstellung gehabt hatte. Johannes hatte einen
typischen Sesselpuper mit Birnen-Körper erwartet und Anselm war - wie er später
zugab - von einem feingliedrigen, sensibel auftretenden Asketen im Gandhi-Look
ausgegangen. Es war ja die erste Esoterikwelle durchs Land geschwappt.
Als sie sich einander auf dem Flur zuwandten,
wäre für andere kein Durchkommen mehr gewesen. Von Trotter überragte Johannes
noch einmal um einen halben Kopf und sah aus wie Popeye zurück von der
Streckbank. Aus kupfern behaarten sommersprossigen Unterarmen wuchsen Hände,
die einen Schaufelbagger arbeitslos gemacht hätten. Sie umfassten die Hände von
Johannes nun bis zu den Gelenken.
Johannes, der sich stets etwas auf seine
graphologischen Kenntnisse eingebildet hatte, musste im gleichen Moment da er
schallend loslachte, an die kleine, makellos präzise Handschrift von den
Notizzetteln denken, mit denen die Manuskripte gelegentlich von von Trotter
zurückgekommen waren. Aber auch der lachte so herzhaft, weil er eine ähnlich
widersprüchliche Assoziation vor Augen hatte. Wer konnte denn ahnen, dass so
ein vollbärtiger, langhaariger zwei Zentner schwerer Seeräuber-Typ eine so
einfühlsame Serie über Kinder in Deutschland geschrieben hatte.
Es war klar, dass sie sich auf den ersten
Blick mochten. Dass es eine Männerfreundschaft auf den ersten Blick wurde,
hätte Johannes - normaler Weise mehr als misstrauisch - vermutlich versucht zu
verhindern. Er war keiner, der sich gleich duzte, der sich sofort auf ein Bier
verabredete oder dabei für das kommende Wochenende schon ein privates Essen mit
den Ehefrauen verabredete. Von Trotter strahlte diese soziale Kompetenz aus,
die jeglichen unterbewussten Widerstand zum sofortigen Erliegen brachte.
Beim dritten Bier hatten sie sich im
Stenogramm gegenseitig das geschildert, was das Leben ihnen bisher beschert
hatte und wo es sie hinführen sollte. Es gab derart starke persönliche
Kongruenzen, dass Johannes sich auch nicht scheute, das Drama mit dem bislang
nicht erfüllten Kinderwunsch zu schildern. Die Trotters hatten schon eine
Tochter...
Ulrike von Trotter und Esther hatten von der
ersten Sekunde die gleiche Wellenlänge. Spontan stellte sich irgendwie exakt
jenes Gefühl ein, dass sie nur mit Geschwistern gehabt hatten.
Anselm hatte für ein so kurzes Kennen ein
merkwürdig intimes Gastgeschenk mitgebracht, aber da er so ein großartiger
Erzähler war, bekam es eine transzendentale Dimension, die ein Leben lang
halten sollte:
Bei dem Geschenk handelte es sich um eine
getrocknete dreipolige Frucht oder Nuss, die so mit gefärbten Knöchelchen und
Bast verziert war, dass die Vorstellung von einem schwarzen Babypüppchen mit
Bastrock und Kulleraugen entstand.
Anselm war im vergangenen Herbst mit den
Turkana, einem bisweilen nomadisierenden Stamm von Rinderhirten und Fischern,
am Ufer des ehemaligen Rudolfsees (heute Lake Turkana) im Norden Kenias entlang
gezogen. Er berichtete von ihren Kühen, die sich angewöhnt hatten am Ufer des
Sees bis zu zwei Meter tief tauchend zu grasen. Von den spirituellen
Fähigkeiten dieses Stammes und von einem Jesuiten-Pater, der mit ihnen lebte,
aber keine besonderen Anstrengungen unternahm, sie zu missionieren. Jener
versuchte den Einklang mit der Natur, in dem die Turkana lebten, lediglich ins
Verhältnis zu seinem Gott zu bringen und überschritt dabei die eine oder andere
Grenze zur Naturreligion. Unter anderem, in dem er auf die Wirksamkeit der
Babyfetische schwor, die die Turkanamädchen an einem geflochtenen Bastfaden,
den sie - durch Scham und Pofalte gezogen - am Steiß befestigt trugen. Um so
einen Babyfetisch handelte es sich bei dem Mitbringsel.
Die laut ausgemalte Vorstellung, Esther würde
künftig mit dem Babyfetisch an ihrem prallen Hinterteil herumlaufen,
verursachte vor allem bei den beiden Männern Heiterkeit, aber als Anselm den
Fetisch am Wohnzimmerschrank befestigte, herrschte doch für einen Moment eine
Art spirituelles Schweigen...
Der Agnostiker in Johannes fand eine einfache
Erklärung für das, was geschah, kurz nachdem Anselm den Babyfetisch aufgehängt
hatte:
Befreit vom Zeugenmüssen, entspannter, nun
wieder sinnlich ausgerichteter Sex in einer neuen Umgebung und eine späte
Reaktion auf die Pertubation hatten dafür gesorgt, dass einer seiner
lahmarschigen Samen eine Eizelle von Esther erwischt hatte. Der Fetisch war lediglich eine der
klassischen Koinzidenzen, die gerne von
Parapsychologen als Belege für übernatürliche Vorkommnisse - also PSI-Phänomene
- gesammelt wurden.
Je länger die in jeder Beziehung
ungewöhnliche Schwangerschaft von Esther jedoch dauerte, desto häufiger wurde
vor allem sein unterbewusstes Denken von einer Mischung aus Spiritismus und
Transzendentalem beherrscht. Er nannte das bei sich den
"Rosemary's-Baby-Effekt". Roman Polanski hatte ja in seinem Film über
die Zeugung des Teufels die suggestiven Rezeptoren selbst unempfänglicher
Menschen so lange gekonnt strapaziert, dass auch die dann auf seinen Spuk
hereinfielen.
Johannes war vom Charakter her ein Planer und
Vorausdenker, den so schnell nichts aus der Bahn warf. Die nicht mehr erwartete
Schwangerschaft Esthers bereitete ihm allerdings nicht nur Freude. Anselm und
er hatten sich für den Mai und Juni eine umfangreiche selbst produzierte
Reportagen-Reise vorgenommen und die Storys schon vorab verkauft, um von
vornherein kalkulatorisch auf der sicheren Seite zu sein:
Mehrere Themen auf dem indischen Subkontinent
und dann von Kaschmir aus mit einem Jeep über die Pässe nach Ladakh zur Initiirung
eines Rinpoches, eines inkarnierten Lamas der buddhistischen Rotkappen. Das
waren keine Dinge, die man einfach absagen konnte - und wollte. Aber dann kam
bei Esther der Verdacht auf, sie habe - nachdem der behandelnde Gynäkologe (der
mit dem Pertubationsbefund) die Schwangerschaft bis über die zwölfte Woche als
Hormonstörungen angezweifelt hatte - sie hätte auch noch in dieser Zeit Röteln
gehabt.
Für die praktizierende Katholikin Esther
waren Überlegungen zu einem Schwangeschaftsabbruch auch unter diesen Vorzeichen
nicht nur funktionell, aber sie reagierte praktisch und im festen Glauben als
sie den flatternden Johannes quasi auf die nicht ungefährliche Reise mit Anselm (weg)schickte. Sie würde das Kind
austragen.
Und dann wurde Martha am Morgen zum Heiligen Abend
geboren. Johannes war klar, dass er wieder - wie bei Schuberts Winterreise - einem
neuen Wegweiser zu folgen hatte. Ob er wollte oder nicht - er musste die Zeichen
erkennen.
Als seine Tochter Martha volljährig wurde,
schrieb er ihr die folgende Weihnachtsgeschichte, weil er in einem persönlichen
Gespräch nie in der Lage gewesen wäre, ihr die damaligen Gefühle zu
beschreiben:
Wie das Christkind kam...
Weihnachten
1979
Die
Straße, die sonst so laut war und voller Leben, schien in staubiger, trockener
Kälte erstarrt. Es würde wieder einmal - wie so oft in den letzten Jahren -
keine weiße Weihnacht geben. Aber dem Paar, das da inmitten der Münchner
Altstadt lebte, war das egal. Für beide hatte das Warten auf das Christkind -
obwohl ja schon über dreißig - diesmal eine ganz besonders intensive Spannung.
Und vielleicht gerade weil die Straße gemessen an den bevorstehenden Feiertagen
die ganze Nacht so unnatürlich ruhig gewesen war, hatten sie eher unruhig
geschlafen - wenn überhaupt...
Etwas bahnt sich da an. Der Mann lag mit
offenen Augen auf dem Rücken und starrte zu der hohen Stuckdecke hinauf. Die
bevorstehende Veränderung beschäftigte ihn schon seit einigen Monaten. Er würde
keine Risiken mehr eingehen können wie bei der Expedition im Frühsommer. Und ob
die Wohnung in diesem millieugeschwängerten Viertel mit seinen Schwulen- und
Lesben-Bars dann noch tragbar sein würde? Sie zu erwerben, war eine spontane
Entscheidung gewesen , als die Gynäkologen das niederschmetternde Urteil
gefällt hatten, dass ihre Ehe kinderlos bleiben würde. Auf jeden Fall hatte er
schon mal die beruflichen Weichen auf sichere
Gleise gestellt. Er hatte sich auch schon vorher nicht vor der
Verantwortung gedrückt, aber jetzt würde sie eine ganz neue Dimension bekommen. Er würde alleine für
alles aufkommen müssen. Diese Vorstellung schreckte ihn weniger, als die Furcht
wie s i e damit fertig werden würde, auf einmal von ihm abhängig zu sein. Sie,
die so erfolgreich und gerne die ihr anvertrauten Buch- und Schallplattenläden
geführt hatte, die unabhängig und emanzipiert sein wollte...
Liebevoll schaute er zu dem Gewühl aus Kissen
und Decken hinüber, in dem ihre Gestalt nur zu erahnen war. Wie gelassen sie
gewesen war in letzter Zeit. Gar nicht mehr das Springteufelchen, dass sich so
herrlich über ihre "Scheissläden" aufregen konnte. Sie wollte noch
nicht einmal über Gehaltsfortzahlungen oder Abfindungen streiten. Konsequent
wie bei allen Entscheidungen hatte sie für sich konstatiert:
Jetzt beginnt ein neues Leben - in doppelter
Bedeutung der Worte. Ob sie wohl wach war, und ob ihre Grübeleien den seinen
ähnelten?
Dann war er wohl doch noch eingeschlafen.
Jedenfalls schreckte er plötzlich hoch, als er ihre kleine Silhouette im hell
erleuchteten Rechteck der offenen Schlafzimmertür stehen sah. Irre, was sie in
diesen Monaten für glänzendes Haar bekommen hatte:
"Ich glaub' , wir sollten uns jetzt mal
langsam auf den Weg machen."
"Ja, verdammt nochmal, warum hast du
mich denn nicht geweckt?"
Er
wollte aus dem Bett springen, verhedderte sich aber in ihrem Deckenberg und
wäre fast unsanft auf das Parkett gekracht. Ganz ruhig! Nimm dir ein Beispiel
an ihr! Versuchte er seinen Adrenalinschub mit der inneren Stimme zu
kontrollieren. Er sprang in die erstbeste Hose, streifte ein T-Shirt über,
zwängte seine Füße in Cowboystiefel und
griff nach einem überdimensionierten, selbstgestrickten Pullover.
Na bravo! Die Leute im Krankenhaus würden
nicht gerade den seriösesten Weihnachtseindruck von ihm bekommen. Egal. So
stürzte er aus der Wohnung. Doch kaum war die schwere Eingangstür unziemlich
laut für diese frühmorgendliche Stunde hinter ihm zu gekracht, war ihm klar, er
würde nicht weit kommen. Ohne Schlüssel und Brieftasche...
Er läutete Sturm, hämmerte an die Tür. Oh
mein Gott! Warum macht sie nicht auf? Hoffentlich ist noch nichts passiert.
Nach schier endlosen Minuten hörte er den erlösenden Türsummer. Oben stand sie,
sich ätzend ruhig die prachtvollen Haare bürstend. Nur sie nicht mit deiner
Hektik anstecken! Also ganz ruhig an ihr vorbei.
"Ich hol' nur geschwind den
Autoschlüssel Mäuschen. Bleib ganz ruhig."
Hinter dem Treppenabsatz aus ihrem
Blickwinkel verschwunden, raste er wieder fünf Stufen auf einmal nehmend auf
die immer noch ausgestorbenen Straße hinaus. Gehetzt starrte er nach rechts,
dann nach links. Wo hatte er das verdammte Auto nur geparkt? Er war doch noch
am Vorabend so oft um den Block gekreist, dass er für alle Fälle möglichst nahe
am Haus einen Parkplatz haben würde. Aber da stand die Karre nicht. War das
nicht doch vorgestern gewesen? Stimmt.
Er hatte sich ja noch so aufgeregt, dass er schließlich zwei Blocks weiter im
Bereich einer Baustelle geparkt hatte. Also sprintete er los. Außer Atem kam er
in der Nebenstraße an, aber da war weder Baustelle noch Auto. So schnell waren
die doch noch nie mit Bauen fertig geworden, und wenn sie den Wagen nun
abgeschleppt hatten? Wenn es doch schon länger her gewesen war? Himmel, viel
Zeit war nun nicht mehr zu verlieren. Also doch ein Taxi. Er hastete zurück.
Trotz der bitteren Kälte war er jetzt in Schweiß gebadet , aber Lunge und Kehle
brannten von dem eisigen Smog.
Gleichzeitig kroch eine Schreckenskälte in seine Glieder. Sicherheitshalber
hatte er auf dem Rückweg der Block in umgekehrter Richtung umrundet. Als er jetzt wieder vor der
Haustür stand, hatte jemand seinen Wagen direkt schräg davor auf der anderen
Straßenseite geparkt. Ja, die Nerven!
Also wieder die Treppe hoch gehetzt und die
Tür aufgeschlossen. Wo war die Frau nur? Keine Tasche gepackt, nicht fertig
angezogen im Wohnzimmer harrend...
"Schatz, wo bist du?"
"Hier, im Badezimmer!"
"Wie oft schon?"
"Alle fünf Minuten."
"Und dann kämmst du dich immer noch in
aller Seelenruhe?"
"Ist doch nicht weit!"
"Jetzt komm schon - aber ganz
vorsichtig!"
Von allen trostlosen Orten, um auf
Heiligabend einzustimmen, dürfte sich ein altes Krankenhaus gleich nach einem
neuen Gefängnis als die trostloseste aller Alternativen einreihen. Seine Frau
war längst inmitten eines Pulks stützender Schwestern und beruhigender
Assistenzärzte verschwunden. Man hatte ihn in einen grünen OP-Kittel samt Käppi
stecken wollen. Nein, er wollte lieber doch nicht dabei sein.
"Ich kann nicht ertragen, wenn sie
schmerzen hat", raunte er dem enttäuschten Professor zu, doch der
durchschaute ihn sofort und lächelte mitleidig. Hätte er doch voraussagen
können, dass die Tortur des Wartens auf einem zugig kalten Flur schlimmer sein
würde...
Und so wurde es denn auch. Es dauerte. Zwei
bereits nadelnde Äste mit Plastik-Christbaumkugeln und verbogenen Goldgirlanden
waren das einzige, was beim endlosen hin und her Marschieren an die
mythologische Geburt des Herrn erinnerte. Hin und wieder segelte eine Nonne mit
steif gestärkter Doppeldecker-Haube durch die Station - nicht ohne zu
versäumen, dem herum stiefelnden
vermeintlichen Stadtstreicher einen Blick nächstenchristlicher Liebe
gepaart mit vorweihnachtlicher Missbilligung zuzuwerfen. Bisweilen war der
Wartende versucht, hinter die sich im Eifer des Personals ständig öffnenden und
wieder zu rauschenden Automatik-Türen zu spitzen, um zu fragen, wie lang es
denn wohl noch dauern könnte. Es dauerte.
Endlich ward dem Manne die Zeit zu lang und
er erlag dem unwiderstehlichen Charme eines voll gequalmten Wartezimmers, in
dem nur ein weiterer Delinquent derselben Idee verfallen war - auf das
Christkind zu warten.
"Das Erste?" fragte der.
"Bei Ihnen auch?" forschte der
Neuankömmling?"
"Na, das Sibate!"
"Und dann rauchen Sie vor Aufregung
immer noch eine nach der anderen? Ich habe wegen meiner Frau aufgehört. Aus
Solidarität gewisser Maßen, weil sie so gerne geraucht hat und nun aufhören
musste. Aber natürlich auch wegen des Passivrauchens."
" I
hab' a schon siemmoi aufghört!"
" Und sind Sie deshalb nicht dabei, weil
Sie dann vor Aufregung an Nikotinmangel eingehen würden?"
" Ja, weil's halt immer das gleiche
is."
"Das klingt aber abgebrüht und
gleichgültig."
"Na, des verstengas foisch. Jedsmoi hob
i den Kittl scho o'ghabt, weil i halt dabei sei woit, oba dann ham's mi jedsmoi
aussitrogn müassn, bevorr's übahauptz losganga is! Heit Nacht hot mei Frau glei g'sagt i soll heruasbleib'n. S'gangat
schneller ohne mi. Oba Sie? Warum san Sie net drinna?"
"Ich kann nicht sehen, wenn Sie
Schmerzen hat."
" A so!"
Der andere nutzte seine ganze Erfahrung als
vielfach werdender und gewordener Vater, um die angespannte Stimmung zu
entkrampfen, aber so ganz wohl war ihm dann auch nicht. Schließlich harrte er
ja auch schon drei Stunden länger aus als der Neuling, obwohl er zuvor beteuert
hatte, bei jedem neuen Kind ginge es schneller. Und so war er einigermaßen
enttäuscht, als eine Schwester den Kopf hereinsteckte und sagte:
"Herr Goerz, Sie können jetzt zu Ihrer
Frau."
Nicht:
"Gratuliere, Sie haben ein..." Wie im Film. Ob etwas passiert war?
Plötzlich traten die Horrortage wieder in Erinnerung. Das mit den Röteln und
den falsch berechneten Laborwerten. Die Tage der bangen Entscheidung, ob nicht
ein Schwangerschaftsabbruch ratsamer gewesen wäre. Und schließlich jedoch der
Mut machende Virologie-Professor, der seiner Sache sicher war, dass Titerwerte
falsch nach unterschiedlichen Methoden
ermittelt worden waren.
"Bekommen Sie das Kind!"
Was, wenn nun doch etwas nicht stimmte? Aber
dann sah er seine Frau. Sie sah erschöpft aber glücklich aus. Und der Professor
sagte:
"Gratuliere Sie haben ein Mädchen! Es
hat sich offenbar im Bauch Ihrer Frau
besonders wohl gefühlt, denn es wollte nicht raus. Wie mussten mit der Glocke
ein wenig nachhelfen. Deshalb liegt es nebenan im Wärmekasten - also nicht
erschrecken! Gehen Sie nur zu ihm. Es wird ein glückliches Kind. Viele sagen,
es sei nicht schön, an Heiligabend auf die Welt zu kommen. Aber die Menschen denken
dabei immer nur an die Geschenke. Sie übersehen, dass an so einem Geburtstag
alle Welt in festlicher Grundstimmung ist. Und später, wenn sie dann mal so
richtig feiert, hat sie anschließen zwei freie Tage, um ihren Kater
auszukurieren."
Sprach's, und schob den staunenden Vater ins
Nebenzimmer. Da lag es, ein kleines rosa Marzipan-Geschöpf, leise quäkend und
sich rekelnd. Durch eines der Löcher in dem Kasten konnte der frisch gebackene
Vater hinein fassen, die pummeligen Ärmchen tätscheln und mit dem Zeigefinger
nach den winzigen Händchen stupsen. Und siehe da, schon klammerte sich die
Kleine daran fest. Der 24. Dezember 1979
war ein von der Sonne durchfluteter Tag, aber bitterkalt. Manch einer an diesem
Vormittag hat sich bestimmt gewundert, weshalb dieses Riesenbaby von einem Mann
nicht fror. Er spazierte mit dem Lächeln eines Honigkuchenpferdes auf dem
übermüdeten Gesicht über den weihnachtlichen Viktualienmarkt und kaufte Dinge,
die er noch vor Tagen als fürchterlichen Kitsch bezeichnet hätte. Obwohl er
nichts getrunken hatte, konnte er leicht den Eindruck machen, er habe schon
einige Glühwein intus. Aber die Leute konnten ja auch nicht wissen, dass er
schon in aller Frühe das Christkind gesehen hatte. Es sei denn, er hätte ihnen
schon davon erzählt. Ja, das waren gewiss nicht wenige gewesen.