Donnerstag, 28. April 2011

Die Seelen-Sammlerin






Es ist unmöglich das Alter von Signora Electra zu schätzen. Mit ihrer Prinz-Eisenherz-Frisur und den Blümchenkleidern an ihrem schmalen aber keinesfalls zerbrechlichen Körper wirkt sie eigentlich wie ein Schulmädchen aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Mag sein, dass sie das schreckliche Ereignis, dass ihr gerüchtehalber in dieser Zeit widerfuhr, in diesem Erscheinungsbild verharren lässt. Beim Spielen sei ein verborgener Sprengkörper aus dem Krieg explodiert. Viele Besucher des Borgos merken gar nicht, dass sie gehandicapt ist, so souverän geht sie ihren Alltagsgeschäften nach...

Die hat sie ganz in den Dienst der Kirche gestellt. Wenn ihre Stentor-Stimme mitunter scharf durch die Gassen schallt, steht jeder automatisch stramm und ahnt, wieso ihr allerseites ein derart grenzenloser Respekt entgegen gebracht wird. Denn fast alle Burgbewohner und -Bewohnerinnen haben die strenge Lehrerin als Kommunionskinder und Firmlinge während der Bibelstunden erlebt und wagen bis heute kaum, ihren Bemühungen um jedes noch so individuelle Seelenheil auszuweichen.

Eine Nachbarin und gute Feundin, deren Sohn auf die Firmung vorbereitet werden sollte, wurde immer wieder zwar ohne Erfolg einer freundlichen Inquisition unterzogen. Der Knabe musste die Stunden  wegen eines zeitgleichen Skikurses in der entscheidenen Phase vor der Aufnahme in den Kreis der erwachsenen Christen schwänzen. Folgerichtig gab es keine Firmung.

Seit sich herausgestellt hat, dass der deutsche Agnostiker ausgerechnet mit einer praktizierenden Katholikin verheiratet ist und dessen beiden "Kinder" (in den 30ern)  ihr offenbarten, nicht getauft zu sein, erfreut  sich die Familie einer Zuneigung zwischen Mitleid und Hartnäckigkeit - aber dennoch bar jeglichen Bekehrungseifers.

Mittlerweile werden nicht  nur Marmeladen;  Obst und Gemüse über die Piazza hinweg ausgetauscht, sondern auch kleinere Devotionalien. Sie freut sich immer über die Mitbringsel. Vor allem, wenn ihr in dem holperigen Speisekarten-Italienisch, das sie pädagogisch geschult  und geduldig korrigiert, die Geschichten dazu erklärt werden. Als nächstes bekommt sie übrigens schwarze, gesegnete Kerzen aus Bayern, die sie bei Gewittern beschützen sollen. Die sind hier oben nämlich immer besonders heftig und laut...

Wie jetzt nach Ostern die Häuser gesegnet wurden, hatte die Signora die Wege unseres Pfarrers umsichtig  und detailliert vorbereitet. Als dann ausgerechnet der Agnostiker den Pfarrer aufforderte, den Segen und das Vaterunser doch vor dem Familien-Kruzifix zu sprechen, erschien ein kleines zufriedenes Lächeln in Electras Mundwinkel.

In solchen Momenten erahnt man ihr wahres Alter, dass ja auch durch ihre ungeheure Fitness kaschiert wird. Denn mehrfach pro Woche marschiert sie den steilen Pilgerweg, der von der großen Kirche hier herauf führt. Sie im Auto zu fahren, lehnt sie meistens ab, und wenn es darum geht, in einer der Kirchen des Borgo, eine Gebetsstunde abzuhalten, werden die Teilnehmer einzeln von ihr abgeholt.

Keine Beerdigung, kein Kirchenfest funktioniert ohne Signora Electras ordnende Hand. Und immer noch hat sie dann genug Atem, um in Ermangelung anderer Kirchenmusik den hier typisch hohen, sakralen Kopfgesang anzustimmen.

Die aktuellen wissenschaftlichen Studien mögen zwar den Einfluss des Mondes eher negieren. Es ist aber eine Tatsache, dass unser Nachbar Corrado, der mit braungebrannter Scheitelglatze und schulterlangem Kranzhaar wirkt wie ein böser Samurai, stets in Vollmondnächten ausrastet und dann laut fluchend durch die Gassen spukt. Da der Mann, der auf eine Zahnpflege mit Knoblauch, spitzen Peperoncino-Trockenschoten und Grappa schwört, ja schon von seinem normalen Aussehen her ein wenig furchteinflößend ist, verrammeln dann die Burgbewohner ihre  Häuser. Was den übrigens mittlerweile fast völlig zahnlosen Corrado natürlich noch wütender macht.

In solchen Nächten lässt sich die wahrlich menschliche Größe und gottergebene Furchtlosigkeit unserer Signora am umfassendsten erahnen. Sie ist die Einzige, die seinem tobenden Tourette-Syndrom Einhalt gebieten kann. Obwohl Corrado sie geifernd beschimpft und verflucht, als habe er einen Exorzisten nötig, tritt ihm Electra beruhigend entgegen, bittet ihn in ihr Haus, gibt ihm zu Essen und zu Trinken und entschuldigt sich anschließend - wenn wieder Friede im Borgo  einkehrt ist - auch noch für ihn bei den Nachbarn.

Donnerstag, 21. April 2011

Kater und Katzenjammer

Allein unter Katzen                      Oil on Canvas
                                  

Katzen haben es gut hier auf dem Burgberg. Die meisten von ihnen leben ohne feste Bindung und müssen dennoch - auch in kalten Wintern - nicht darben. Denn in einigen der verwaisten Häusern gibt es immer mal ein Kellerfenster, das offensteht, und in dem ein Ballen zusammengelegter Olivennetze ein kuscheliges Lager bietet.
Mäuse gibt es genug, und barmherzige Seelen stellen schon mal ein Schälchen Milch vor die Tür.

Seit die Hunde gemäß Gemeindeverordnung an der Leine geführt  und ihre Verdauungshinterlassenschaften sofort entsorgt werden müssen, sind die Katzentiere die unbestrittenen Herrscher des Borgo.Was sie mittlerweile - sehr zum Leidwesen der Hundenasen - dazu veranlasst, ihre Duftmarken umso intensiver  überall zu hinterlassen. Die Alteingesessenen versuchen das Pinkeln gegen ihre Haustüren dadurch zu verhindern, dass sie mit Wasser gefüllte Plastikflaschen zur Ablenkung an den strategischen Stellen postieren. Ob es wirklich hilft, darf  bezweifelt werden, denn ab Ende März scheint die Rolligkeit von Jahr zu Jahr zuzunehmen. Die Kater-Essenzen veranlassen einen Katzenjammer in den Gassen, der nächtens widerhallt, als würden kleine Kinder ermordet...

Weshalb die Katzen dennoch nicht überhand nehmen, liegt an der strikten Geburten-Kontrolle durch unsere bäuerlichen Nachbarn, die neue Würfe ihnen vertrauter Katzen-Mamas rigoros in Wasserstellen außerhalb des Ortes ersäufen. So können die Überlebenden der Selektion allerdings voll ihren Katzen-Individualismus ausleben, und das machen sie zum Teil so geschickt, dass selbst ausgesprochene Hunde-Liebhaber wie ich ihren Charme-Offensiven erliegen.

Das sprichwörtlich zänkische Zusammenleben von Hund und Katze findet hier kurioser Weise nicht statt. Auch an der Leine wissen die einheimischen Hunde genau, dass sie gegen die im Straßenkampf geschulten Katzen keine Chance hätten. Und die Ferien-Hunde lernen dies nach ihrer ersten blutigen Schnauze. Ich habe selbst einmal am eigenen Hund erlebt, wie sich ein mageres Straßenkätzchen in einen kratzenden Feuerball von doppelter Größe verwandeln kann...

Da die menschliche Einwohnerschaft größten Teils überaltert ist, geraten nach Sterbefällen auch Hauskatzen in die Obdachlosigkeit. Dann beginnt das Ritual, mit dem die Katzen ihre Menschen adoptieren. Alljährlich werden wir auf der Piazza von drei bis vier belagert, konnten aber bislang widerstehen. Aber wir beobachten mit viel Freude, wie sie bei anderen erfolgreich sind. Eine wunderschöne Orangefarbene hat sich ausgerechnet unsere Nachbarin ausgesucht, die einen Freund hat, der Katzen nicht mag. Da kommt es zu Hartnäckigkeistproben. Seither hat die Katze sich angewöhnt, ihrem adoptierten Frauchen direkt an der Ferse hinterher zu laufen, wie ein trainierter Hund. Das klappt!

Eine Tierarzthelferin, die nach 50 Jahren das erste Baby hier oben geboren hatte, wurde trotz ihres bildschönen Deutschen Schäferhundes gleich von meheren Katzen adoptiert. Der Riesenhund zog friedlich mit den Kätzchen und der Hochschwangeren durchs Dorf. Der Friede war allerding vorbei, sobald das Kind auf der Welt war, und der Pastore Tedesco (so heißt die Rasse auf Italienisch - Deutscher  Hirte und nicht etwa Deutscher Pfarrer) in seine instinktive Beschützer-Rolle verfiel.

Die schönste Adoption widerfuhr allerdings in diesen Tagen unserem ziemlich kranken, schüchternen und dadurch auch einsamen Nachbarn. Ein schmalbrüstiges, semmelgelbes Kätzchen, das es vorzieht, über unsere Dächer zu streifen, statt durch die Gassen zu schleichen, sprang in seine Wohnung auf der dritten Etage und blieb. Seither sieht man den Mann mit ihr beim gemeinsamen Sonnenbad auf der Piazza. Er ist so kommunikativ geworden, dass er einen neuerdings im Supermarkt schon mal freundschaftlich anstupst. Und wer hätte jemals gedacht, den ansonsten sehr sparsamen Vicino mit einer Vorratspackung vom nicht gerade billigsten Katzenfutter den Berg hochstapfen zu sehen.

Freitag, 15. April 2011

Von wegen Don Camillo!

Manchmal wünschte sich auch der Agnostiker, er könne besonders großartige Momente einer wie auch immer gearteten Gottheit zuordnen. Aber dann kommen hier ins mittelalterliche Ambiente via Breitband-Flatrate-Internet  und TV-Satellitenschüssel Bilder aus Japan oder Berichte von Kindermorden in Deutschland. Schon möchte ich nicht mehr brgreifen, wieso die möglicherweise himmlischen Mächte gleichzeitig hier die Sonne über verschneite Bergspitzen und Dörfer scheinen lässt, die wie funkelnde Schmuckstücke im immergrünen Samt der Olivenhänge stecken...

Die mittelalterliche Bewohner unseres Wehrdorfes, hatten es da leichter, in ihrer isolierten Sicht der Welt an Schutz und Segen von oben zu glauben. Sie fürchteten nichts als plündernde Piraten und die kalten Stürme, die entweder als Scirocco von südsüdost den roten Saharasand blutenden  oder als Tramontana Schneemassen oder schlimmer noch Taubenei großen Hagel in die Oliven peitschen. Ja und dann die oft monatelange Trockenheit!

Blieben sie von den schrecklichen Dreien verschont, dann dankten sie Gott. Und zwar so inbrünstig, dass der grad mal zwei Fußballfelder große Borgo, der sich hier an den Felsgrat klammert, über drei Kirchen innerhalb der Mauern und zwei Wallfahrtskapellen in der Campagna verfügt.
Zu den eigentlichen Gottesdiensten müssen die Gläubigen heute aber über steile Treppen oder die beiden Serpentinen der Straße in den Hauptort zur großen Barock-Kirche hinunter. Die Kirchlein hier werden lediglich noch für Gebetsstunden, Aufbahrungen und - an den spezifischen Feiertagen  für deren Schutzheiligen -  nur einmal im Jahr geöffnet.

Der Priester schafft ohnehin mit seinem kleinen Flitzer eine logistische Meisterleistung, denn er bedient ja nicht nur die Kirche im Capo luogo, sondern auch die beiden anderen großen Kirchen, der in Sichtweite liegenden zum Sprengel gehörenden Nachbarorte.

In den Filmen über Don Camillo und seinen Widersacher, den kommunistischen Bürgermeister Peppone, die als ich Kind war, unser romantisches Italienbild prägten, schien die Welt zwischen Glauben und Politik trotz deren Streitigkeiten noch so, wie man es gewohnt war. Notfalls fuhren die beiden Streithähne gemeinsam nach Rom. Der eine in den Vatikan, der andere zu den Genossen in der Zentrale der PCI.

Aber heute? Die Romanhelden von Giovannino Guareschi würden sich in der heutigen Realität vermutlich noch schwerer tun.


Von wegen Don Camillo! Unser allseits beliebter Pfarrer. der sich übrigens nicht zu schade ist, den steilen Weg hier herauf zu kommen. um unter anderem auch das Haus des ortsbekannten Agnostikers zu segnen, ist schwarz. Er ist ein Tamile, der besser Italienisch spricht als die meisten Einheimischen, und der trotz der sprichwörtlichen Fremdelei der ligurischen Bergbewohner eine unbestrittene Respektsperson über die Instanzen hinweg darstellt. Er begegnet unserer Bürgermeisterin, einer blutjungen Advokatin, die auch ohne weiteres als Model Karriere hätte machen können, voll emanzipiert auf Augenhöhe.

Sonntag, 10. April 2011

Die Geschichte vom goldenen Gecco

Goldgecco                             Oil on Canvas
   


Die Tage werden länger und die Nächte kürzer. Schon im Morgennebel hebt ein Gesumme an, das man in der übrigen Lautlosigkeit fast schon als Lärm empfindet. Die Gecco-Familie, die in den Pausbacken unserer Brunnenmaske von den Ruffolo-Gärten überwintert hat, kriecht nach und nach aus der schmollenden Mundöffnung, wärmt sich in den ersten Sonnenstrahlen und nimmt - kaum sind ihre Körper halbwegs warm - die Jagd nach dem Gefleuch auf. Der Speisezettel ist mannigfaltig, und der Beobachter glaubt geradezu, er könne den Kugelköpfigen dabei zusehen, wie deren Bäuche langsam anschwellen.
Auf unsere Terrasse in ihrem gewohnten Revier verzichten die  Geccos meist darauf, ständig ihre Farbe zu wechseln - wie sie dies zum Selbstschutz und zur Tarnung beispielsweise auf der Piazza tun. Deshalb ist ihre unterschiedliche, mitunter äußerst dekorative Zeichnung auch so überraschend:
Lampenschwarz mit gelb umrandeten blauen Tupfern oder rote Sprenkler wie Blutstropfen auf einem silbergrauen Anzug. Keiner ist wie der andere gemustert, obwohl sie doch eigentlich irgenwie alle miteinander verwandt sein müssten...

Da fällt mir eine Geschichte ein, wie sie mir unsere Nachbarin Angelina bestimmt erzählt hätte. Das über 90jährige Engelchen hat sich im letzten Sommer aus unserer Dorfgemeinschaft verabschiedet, indem sie vom ersten Stock auf die Vicolo Colombo gesprungen ist, weil sie ihren über 80jährigen Geschwistern - die sie zur Sicherheit eingesperrt hatten -bei der Gartenarbeit helfen wollte. Das hat ihr Körper in der Folge natürlich nicht mehr verkraftet. Sie starb einige Tage später im Provinzkrankenhaus: Der erste und letzte Ortswechsel in ihrem langen Leben. Ins Altersheim gehen hier die wenigsten, deshalb erreichen die meisten auch ein gesegnetes Alter. Bis zu ihrem Sprung rannte Angelina noch erstaunlich behende durch die Gassen, klopfte an alle Türen und erzählte mit rollenden Augen und der Körpersprache einer Eleonora Duse spannende Geschichten, die nur die wenigsten verstanden, weil sie sie im unverfälschten ligurischen Dialekt deklamierte.

Da war - wenn ich sie richtig verstanden habe - also dieser kleine Gecco, der eines Morgens transusig auf eine frische Kupfer-Dachrinne geklettert war, obwohl ihn seine Eltern dringend gewarnt hatten, das nicht zu tun. Ohne, dass er es groß bewusst  beeinflussen konnte, nahm er die rotgoldene Farbe des Kupfers an und ward fortan zum Symbol von Wohlstand und Reichtum in der Gecco-Gemeinde. Weil sich Gold in der Gecco-Haut nunmal nicht mehr zurückwandeln lässt, leuchtete er nun von morgens bis abends. Wozu hatten ihn wohl die Eltern so nachhaltig gewarnt?

Jedenfalls kamen die Geccos von überall aus dem Kastell, um ihren Artgenossen zu bestaunen. Der kleine Gecco sonnte sich in ihrer Aufmerksamkeit und ließ seine güldene Haut stolz  das Sonnenlicht in alle Himmelsrichtungen reflektieren...

Es dauerte nicht lang, da fand auch ein Elstern-Pärchen gefallen an diesem Geglitzer, und jeder weiß, was Elstern mit Glitzerkram so alles anstellen.

Die Moral von der Geschicht? - Ich mag sie nicht!